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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Vermischung –, allein der mythische Sto ff sei der Strukturgesetzlichkeit des musikalischen Dramas angemessen.
    Die Historisierung des Märchens im Lohengrin ermöglicht Wagner, die Kollision zweier Mythensphären, der christlichen und der heidnischen, weißer und schwarzer Magie (Lohengrin versus Ortrud) darzustellen, wobei das Christliche unzweifelhaft eine fortschrittlichere Stufe der menschlichen Entwicklung darstellt. In einem Brief an Franz Liszt vom 30. Januar 1852 schreibt Wagner in dem politischen Vokabular, das er sich seit der Revolution zu eigen gemacht hat, über Ortruds Anrufung ihrer »alten längst verschollenen Götter« im zweiten Aufzug (»Entweihte Götter! Helft jetzt meiner Rache! / […] / Wodan! Dich Starken rufe ich! / Freia! Erhab’ne, höre mich!« GS II, 87): »Sie ist eine Reaktionärin, eine nur auf das Alte bedachte und deshalb allem Neuen Feindgesinnte, und zwar im wüthendsten Sinne des Wortes: sie möchte die Welt und die Natur ausrotten, nur um ihren vermoderten Göttern wieder Leben zu scha ff en.« (SB IV, 274) Und das schreibt Wagner zu einer Zeit, da er selbst diesen Göttern in seiner Ring -Dichtung neues ›Leben‹ verscha ff t – freilich unter gänzlich anderen Vorzeichen. Der germanische Mythos wird im Ring seiner historischen Bezüge entkleidet und zum Bild des ›Reinmenschlichen‹, auch und gerade in seiner modernen Gestalt, während Ortrud ihn für ihre Zwecke instrumentalisiert. »Ihr Wesen ist Politik«, schreibt Wagner an Liszt, ihre Motive sind »Ahnenstolz«, »Hang am Vergangenen«, an »untergegangenen Geschlechtern«, die sich zum »mörderischen Fanatismus« steigern (SB IV, 273 f.). Es fällt schwer, hier nicht an die politische Instrumentalisierung des germanischen Mythos im 20. Jahrhundert zu denken.
    Ortrud gehört in die Reihe jener ›rasenden Weiber‹ in Oper und Drama des 18. und 19. Jahrhunderts, die einer überständigen Macht- und A ff ektwelt entstammen, so z. B. Mozarts Frauen dieses Typus von der Elektra des Idomeneo bis zur Königin der Nacht der Zauber fl öte und der Vitellia der Clemenza di Tito , Cherubinis Medea oder die Eglantine in Webers Euryanthe , einem unmittelbaren Vorbild des Lohengrin , dessen Ortrud und Telramund auf das fi nstere Intrigantenpaar Eglantine und Lysiart zurückweisen. Sie sind es, die aus Rache für verlorene oder versagte Macht intrigieren und sich in fanatischen Furor hineinsteigern. Ortrud setzt die Mittel des Zaubers, schwarzer Magie ein, um ihr egozentrisch-despotisches Herrschaftsziel, die Rückkehr zur heidnischen Stammesgesellschaft ihrer Vorfahren, zu erreichen. Dem manipulativ eingesetzten, auf Macht zielenden »bösen Zauber« (GS II, 77) steht im Lohengrin das unverfügbare religiöse »Wunder« (GS II, 73) und der von partikularen Zwecken bestimmten germanisch-heidnischen Stammeswelt die heilig-römisch-deutsche Reichswelt – als eine universalistische, ja schon beträchtlich republikanisierte – gegenüber.
    Wagner hat, vor allem in seiner Rechtfertigungsschrift Eine Mittheilung an meine Freunde , wiederholt darauf hingewiesen, dass durch seine musikalischen Dramen immer wieder der griechische Mythos und die attische Tragödie hindurchscheine. In der genannten Schrift von 1851 führt er schon die Sujets seiner frühen Opern auf antike Archetypen zurück. Wenn er hier auch auf christlich-mittelalterliche Sto ff e zurückgegri ff en habe, so sei es ihm doch um die hinter ihnen aufscheinenden antik-mythischen Konstellationen gegangen – »wie es überhaupt ein gründlicher Irrthum unserer ober fl ächlichen Betrachtungsweise ist, wenn wir die spezi fi sch christliche Anschauung für irgendwie urschöpferisch in ihren Gestalten halten. Keiner der bezeichnendsten und ergreifendsten christlichen Mythen gehört dem christlichen Geiste […] ureigenthümlich an: er hat sie alle aus den rein menschlichen Anschauungen der Vorzeit übernommen« (GS IV, 289).
    In derselben schildert Wagner auch eindringlich die christliche Metamorphose des mythischen Urmotivs vom Gotte, der sich liebend zu einem Menschenkind, sei es Semele, Alkmene, Leda oder Danae, hinabneigt: »Das ätherische Gebiet, aus dem der Gott herab nach dem Menschen sich sehnt, hatte durch die christliche Sehnsucht sich in die undenklichsten Fernen ausgedehnt. Dem Hellenen war es noch das wolkige Reich des Blitzes und des Donners, aus dem der lockige Zeus sich herabschwang, um mit kundigem Wissen Mensch zu werden: dem Christen zer fl oß der

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