Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
gewohnten Ballettwesen gänzlich Abliegendes«, schreibt Wagner später in seiner Autobiographie (ML 644). Vergeblich führte er, wie in seinem Traktat Über das Dirigiren (1869) zu lesen ist, bei den Proben zur Pariser Erstaufführung des Tannhäuser dem Ballettmeister der Grand Opéra, Lucien Petipa, vor Augen, »wie die jämmerlich gehüpften kleinen Pas seiner Mänaden und Bacchantinnen sehr läppisch zu meiner Musik kontrastirten, und wie ich dagegen verlange, daß er hierfür etwas dem auf berühmten antiken Reliefs dargestellten Gruppen der Bacchantenzüge Entsprechendes, Kühnes und wild Erhabenes er fi nden, und von seinem Corps ausführen lassen solle.« Petipa wandte jedoch ein, wenn er seinen Tänzern auch nur ein Wort von Wagners Vorstellungen sage: »auf der Stelle hätten wir den ›Cancan‹ und wären verloren« (GS VIII, 315).
Bis zu einem bestimmten Punkt lässt Tannhäuser sich als ›jungdeutsches‹ Drama auffassen: der Künstler fl ieht aus einer sinnenfeindlichen und unfreien, in Konventionalität erstarrten Gesellschaft und sucht die Emanzipation des Fleisches in der antik-sinnlichen Gegenwelt des Venusbergs. Er verlässt denselben, da ihn das schattenlose erotische Glück in Untätigkeit versinken lässt, ohne dass er die hier gewonnene Erfahrung der sinnlichen Liebe zu verleugnen gedenkt. In die Gesellschaft zurückgekehrt, bricht der Kon fl ikt zwischen ihm, der die sinnlich erfüllte Liebe preist, und den erosfeindlichen etablierten Kräften unversöhnlich auf, und er wird aus der Gesellschaft verbannt. Doch Wagners Oper geht in diesem Modell nicht auf. Der ›jungdeutschen‹ widersetzt sich eine ›romantische‹ Motivations- und Handlungskette. Tannhäuser versichert Venus nach seinem Entschluss, den Venusberg zu verlassen, zunächst: »Nie war mein Lieben größer, niemals wahrer, / als jetzt, da ich für ewig dich muß fl ieh’n!« – »Ja, gegen alle Welt will unverdrossen / fortan ich nun dein kühner Streiter sein.« (GS II, 8) Ein Versprechen, das er beim Sängerkrieg einlöst! Doch am Ende der Venusbergszene heißt es plötzlich, ohne jegliche Vorbereitung: »durch Buße fi nd’ ich Ruh’« und: »mein Heil ruht in Maria!« (GS II, 11) Ein o ff enbarer Widerspruch! Er setzt sich in der Szene des Sängerkriegs fort. Nach seiner Huldigung der Venus schwenkt er plötzlich auf die Wertungslinie der Wartburggesellschaft ein und tritt bußfertig den Weg nach Rom an. Den Grund für seinen Sinneswandel gibt er selber an:
Zum Heil den Sündigen zu führen,
die Gott-Gesandte nahte mir:
doch ach! sie frevelnd zu berühren
hob ich den Lästerblick zu ihr! (GS II, 28)
Tannhäusers auf sinnliche Erfüllung drängende Liebe – mitsamt seiner jungdeutschen Erosverherrlichung – rückt mit einem Schlage unter das Vorzeichen der Sünde. Elisabeth, die ihm (der Prosaentwurf ist da deutlicher als das Textbuch) als Preis im Sängerkrieg winkte, soll für ihn nun zu etwas ganz anderem bestimmt gewesen sein: zur Heilsmittlerin. Dass er »schmachvoll des Himmels Mittlerin verkannt« (GS II, 28), auf sie seine erotischen Wünsche projiziert hat: das, und nicht der Aufenthalt im Venusberg, soll nun Tannhäusers eigentliche Schuld sein.
Auf dieser Deutung hat Wagner nachdrücklich bestanden. In den zuletzt zitierten Versen, so schreibt er am 29. Mai 1852 an Franz Liszt (und ähnlich auch im Aufsatz Über die Aufführung des ›Tannhäuser‹ ), sei »die ganze bedeutung der Katastrophe des Tannhäuser« zum Ausdruck gebracht. »Sein ganzer Schmerz, seine blutige bußfahrt, alles quillt aus dem Sinne dieser Strophen: ohne sie hier, und gerade hier, so vernommen zu haben, wie sie vernommen werden müssen, bleibt der ganze Tannhäuser unbegreiflich, eine willkürliche, schwankende – erbärmliche fi gur.« (SB IV, 377)
Durch diese Motivierung der Bußfahrt wird freilich die bisherige Verlaufskurve des Dramas abgeknickt. Elisabeth war Tannhäuser bis dahin durchaus nicht als Heilsmittlerin, sondern als Liebende gegenübergetreten, die sich, wie er selber, nach sinnlich erfüllter Liebe sehnte; der Landgraf versprach beiden ja schon verhüllt die Ehe. Erst nach dem Wartburg-Skandal wandelt sich Elisabeth zur Asketin, die ihrem Gebet »Allmächt’ge Jungfrau« zufolge die sinnliche Liebe als »tör’gen Wahn« und »sündiges Verlangen« abgetötet hat (GS II, 32). Das von Wolfram verkündete Entsagungsethos trägt im dritten Akt den Sieg über den jungdeutschen Eroskult davon. Venus Urania
Weitere Kostenlose Bücher