Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
blaue Himmel in ein unendliches Meer schwelgerisch sehnsüchtigen Gefühles, in dem ihm alle Göttergestalten verschwammen, bis endlich nur sein eigenes Bild, der sehnsüchtige Mensch, aus dem Meere seiner Phantasie ihm entgegentreten konnte. Ein uralter und mannigfach wiederholter Zug geht durch die Sagen der Völker, die an Meeren oder an meermündenden Flüssen wohnten: auf dem blauen Spiegel der Wogen nahte ihnen ein Unbekannter von höchster Anmuth und reinster Tugend, der Alles hinriß und jedes Herz durch unwiderstehlichen Zauber gewann; er war der erfüllte Wunsch des Sehnsuchtsvollen, der über dem Meeresspiegel, in jenem Lande, das er nicht erkennen konnte, das Glück sich träumte. Der Unbekannte verschwand wieder und zog über die Meereswogen zurück, sobald nach seinem Wesen geforscht wurde.« (GS IV, 291)
Die erotischen Zeus-Mythen verwandeln sich in die Mysterien der Grals- und Lohengrin-Sage. Das ätherische Gebiet sehnsüchtigen Gefühls, in dem die antiken Göttergestalten verschwimmen, gewinnt im mystisch-entrückten Streicherklang des Vorspiels zum Lohengrin magische Klanggestalt. Wagner vergleicht den Lohengrin-Mythos zumal mit demjenigen von Zeus und Semele. Thomas Mann hat in seinem Versuch über Schiller (1955) vermutet, dass ihn dazu nicht nur der antike Mythos selber, sondern seine moderne Gestalt in Schillers »lyrischer Operette« Semele (1782), der zweiten dramatischen Dichtung des Räuber -Dichters, inspiriert hat, war Wagner doch ein intimer Schiller-Kenner. Vor allem ist es die Tabuisierung des Versuchs, das Geheimnis des Göttlichen zu entschlüsseln, das beide verbindet. In der zweiten Szene der Schillerschen Semele kommt es zu der verhängnisvollen Befragung von Zeus durch die menschliche Geliebte, die verblü ff end der zweiten Szene im dritten Akt des Lohengrin gleicht, in der Elsa dem Schwanenritter die verbotene Frage nach seiner Herkunft stellt und ihn – wie Semele Zeus – zu der für sie tödlichen Selbsto ff enbarung nötigt. »Laß dein Geheimniß mich erschauen, / daß, wer du bist, ich o ff en seh’!« Lohengrins Versuch, Elsa zum Schweigen zu bringen und zu beschwichtigen, bewirkt nur das Gegenteil. Seine Worte:
Drum wolle stets den Zweifel meiden,
dein Lieben sei mein stolz Gewähr;
denn nicht komm’ ich aus Nacht und Leiden,
aus Glanz und Wonne komm’ ich her (GS II, 104)
erwecken in Elsa dasselbe Grauen vor dem Numinosen, wie es Kleist so beklemmend in der fünften Szene des zweiten Akts seines – Lohengrin thematisch nahe verwandten – Amphitryon dargestellt hat: als Alkmene das göttliche Inkognito in der Gestalt ihres vermeintlichen Ehemanns zu ahnen beginnt. (Wiederum ist es Thomas Mann gewesen, der in seinem Schiller-Essay die Nähe zwischen Kleists metaphysischer Komödie und Wagners romantischer Oper erspürt hat.) Und jenes Grauen versetzt Elsa nun in die Raserei eines selbstzerstörerischen Wissenwollens, die fast an das besessen-bohrende Verhör des sophokleischen Ödipus gemahnt. Die dreifache Frage: »Den Namen sag’ mir an!« »Woher die Fahrt?« »Wie deine Art?« ist ein dreifacher Schicksalsschlag, den Lohengrin mit der unsäglichen Trauergebärde besiegelt: »Weh’! Nun ist all’ unser Glück dahin!« (GS II, 105 f.) Thomas Mann glaubt, dass diese Szene bis in den Wortklang hinein auf den Moment in Schillers Semele zurückweist, da diese Zeus das Geheimnis seiner Göttlichkeit zu entreißen sucht und damit sich selbst vernichtet. Charles Baudelaire hat in seinem Essay Wagner et Tannhäuser à Paris (1861) die »schlagende Ähnlichkeit« jener Szene des Lohengrin noch mit einer anderen antiken Mythe entdeckt: mit der von Amor und Psyche, »die auch ein Opfer ihrer dämonischen Neugier wurde und, als sie das Gebot ihres himmlischen Gatten verletzte und in sein Geheimnis eindrang, all ihr Glück verlor. Elsa schenkt Ortrud Gehör wie Eva der Schlange. Immer von neuem fällt Eva in die gleiche Falle.«
Wie immer es um Wagners Kenntnis von Kleists Amphitryon bestellt sein mag, die Nähe Lohengrins zu ihm ist nicht zu verkennen, kreisen beide doch um das Thema der göttlichen Einsamkeit und Sehnsucht nach menschlicher Liebe, und beiden ist insgeheim eine Künstlerthematik eingeschrieben. Die folgende Selbstinterpretation des Lohengrin -Autors liest sich fast wie eine Auslegung von Kleists tragischem Lustspiel. Lohengrin, so Wagner, suchte das Weib, »das nicht früge, wer er sei und woher er komme, sondern ihn liebte, wie er sei, und weil er
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