Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
gefangen? Die Flügel verschnittest du ihm, daß er dir nicht ent fl iege; – doch daß er mit seines Sanges süßer Klage dein Ohr erfreue, blendetest du ihm die Augen wohl, daß aus ewiger Nacht in angstvollem Sehnen nach seinem Weibchen er rufe? Dann reichst du ihm wohl süße Beeren, den lahmen Blinden zu löhnen?« (GS III, 204) Die Paradoxie der Künstlerexistenz – die Ausbeutung der Leiden des Künstlers und der aus seinem Leid entstehenden Werke zu ober fl ächlichem Genuß – ist ein Thema, das seit der Romantik immer wieder Dichter und Kritiker bewegt hat. »Was ist ein Dichter? Ein unglücklicher Mensch, der tiefe Qualen birgt in seinem Herzen, aber seine Lippen sind so gebildet, daß, derweilen Seufzen und Schreien über sie hinströmt, es tönt gleich einer schönen Musik« (Kierkegaard, Entweder – Oder , 1843). Als der auf Geheiß Neidings gelähmte Wieland sich am Ende mit seinen Flügeln jedoch über die Welt seiner Schmach erhebt, kann er zu Neiding mit revolutionärem Pathos hinabrufen: »Nichts bleibt von dir und deiner Macht, als die Kunde von der Rache eines freien Schmiedtes, und dem Ende seiner Knechtschaft!« (GS III, 206) In der Einleitung des Fragments schreibt Wagner über dessen Ende: »Getragen von dem Werke seiner Kunst fl og er auf zu der Höhe, von da herab er Neiding’s Herz mit tödtlichem Geschosse traf« (der König wird unter den Trümmern der von Wieland in Brand gesetzten Schmiede erschlagen). Der ge fl ügelte Künstler aber wird Wagner zum Symbol des revolutionären Volkes, dem er zuruft: »Das hast Du gedichtet, und Du selbst bist dieser Wieland! Schmiede Deine Flügel, und schwinge Dich auf!« (GS III, 177)
Das »Judenthum« in und außerhalb der Musik
Mitten unter die Züricher Kunstschriften – vor Oper und Drama – fällt ein Aufsatz Wagners, der mit seinen anderen Publikationen dieser Zeit weder in thematischer Verbindung steht noch durch sie vorbereitet ist: Das Judenthum in der Musik (1850). Niemand konnte auf diesen Aufsatz gefasst sein, und er erschien bezeichnenderweise auch nicht unter Wagners Namen, sondern unter dem Pseudonym K. Freigedank in der Neuen Zeitschrift für Musik . Erst 1869 hat Wagner ihn als selbständige Broschüre, nun unter seinem eigenen Namen, verö ff entlicht, partiell revidiert und mit einleitenden Aufklärungen über das Judenthum in der Musik versehen. Bis heute ist diese Schrift das größte Ärgernis von allem geblieben, was Wagner je publiziert hat. Dass sie gerade in Wagners revolutionäre Phase fällt, ist freilich nicht ganz zufällig, hat sich doch in den Freiheits- und Demokratiebewegungen um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine nicht selten aggressive Judenfeindschaft breitgemacht. Auch die ›Jungdeutschen‹, die linkshegelianische und sozialistische Bewegung waren von antijüdischen Vorurteilen nicht frei. Zugrunde liegt ihnen nicht selten die Tatsache, dass man im Juden den Parteigänger des juste milieu sah – bis hin zu Wilhelm Marr, auf dessen Pamphlet Der Sieg des Judentums über das Germanentum (1879) der Begri ff des »Antisemitismus« vor allem zurückgeht (vorher wurde er nur vereinzelt gebraucht) und der radikaldemokratische umstandslos mit antijüdischer Gesinnung verband; seine antisemitische Polemik verstand er als Teil seines politisch-sozialen Programms. So verschmelzen auch bei Wagner revolutionäre und antijüdische Haltung.
In einem Brief an Liszt vom 18. April 1851 hat er gestanden, sein »groll gegen diese Judenwirthschaft« sei seiner Natur »so nothwendig wie galle dem blute« (SB III, 544). Dieser Groll nimmt im Laufe der Jahre immer mehr Züge eines Verfolgungswahns an. Dieser Wahn drückt sich nirgends deutlicher aus als in Wagners Brief an König Ludwig II. vom 22. November 1881, wo er bekennt: »dass ich die jüdische Race für den geborenen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr halte: dass namentlich wir Deutschen an ihnen zu Grunde gehen werden, ist gewiss, und vielleicht bin ich der letzte Deutsche, der sich gegen den bereits alles beherrschenden Judaismus als künstlerischer Mensch aufrecht zu erhalten wusste.« (LW III, 230)
In einer Aufzeichnung vom Frühling/Sommer 1878 hat Nietzsche sich fassungslos gefragt, wie sich durch seinen »Judenhass […] ein solcher Mann so tyrannisiren lassen kann !« (SW VIII, 502). Und er begründet das durch einen möglichen jüdischen Selbsthass: »sollte Wagner ein Semite sein? Jetzt verstehen wir seine Abneigung gegen die Juden.« (SW
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