Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
vornehmlich ihrer Rolle in der Musik, deren Ein fl uss an dem nun schnöde herabgesetzten und nicht einmal mit Namen genannten Meyerbeer (seinem großmütigen Mentor, den er mit Undankbarkeit straft) und an der di ff erenzierter gewürdigten »tragischen« Gestalt Mendelssohns demonstriert wird, welch letzterer bei aller musikalischen Begabung nie über einen epigonalen Formalismus hinausgekommen sei, da ihm die volkstümliche Basis gefehlt habe, in der allein das schöpferische, »Herz und Seele ergreifende« Kunstwerk gründe (GS V, 79).
Dass erst nach dem Tode Beethovens jüdische Komponisten so starken Ein fl uss auf das musikalische Leben ausüben konnten – die Folge der rasch fortschreitenden Emanzipation der Juden –, wird von ihm erklärt durch die Erstarrung, »innere Lebensunfähigkeit« der zeitgenössischen Musik im allgemeinen, in der sich nun fremde Elemente einnisten können wie – eine wiederholt für die Juden verwendete Metapher – Würmer in einer Leiche (GS V, 84). Die zunehmende Bedeutung der Juden demonstriere also die »Unfähigkeit unserer musikalischen Kunstepoche« (GS V, 83), ja den unkünstlerischen Charakter der modernen Zivilisation überhaupt, deren »übles Gewissen« das Judentum bilde (GS V, 85). Das »Judenthum in der Musik« ist für Wagner mithin nur das Paradigma einer depravierten, kunstfernen, bloß noch von Marktgesetzen bestimmten Zivilisation.
Scheint Wagner bis zum vorletzten Absatz seines Pamphlets den Juden keine Chance zu lassen, in irgendein positives Verhältnis zur gegenwärtigen Menschheit treten zu können, so erö ff net er im Schlussabsatz eine bisher nicht vorbereitete und nur von der verborgenen Idee des ›Kunstwerks der Zukunft‹ her erklärbare Perspektive. Aus ihr ergibt sich nun doch ein spürbarer Gegensatz zum Antisemitismus der nächsten Jahrzehnte. Wagner erinnert an Ludwig Börne: »Aus seiner Sonderstellung als Jude trat er Erlösung suchend unter uns: er fand sie nicht und mußte sich bewußt werden, daß er sie nur mit auch unserer Erlösung zu wahrhaften Menschen fi nden können würde. Gemeinschaftlich mit uns Mensch werden, heißt für den Juden aber zu allernächst so viel als: aufhören, Jude zu sein.« (GS V, 85) Diese Formel vom ›Aufhören, Jude zu sein‹ verbindet Wagner mit den Traktaten zur Judenfrage auch aus dem liberalen und sozialistischen Lager (etwa Karl Marx’ Schrift Zur Judenfrage , 1843), die allesamt auf die These hinauslaufen, die vollständige Emanzipation der Juden sei erst möglich, wenn sie ihre Sonderexistenz als Juden aufgäben. Wolle der Antisemit, so Jean-Paul Sartre, den Juden »als Menschen vernichten, um nur den Juden, den Paria, den Unberührbaren bestehen zu lassen«, so strebe der Liberale »ihn als Juden zu vernichten, um ihn als Menschen zu erhalten, als allgemeines abstraktes Subjekt der Menschen- und Bürgerrechte«.
Diese menschen- und bürgerrechtliche Ansicht des Liberalen verwandelt Wagner in eine Erlösungsideologie. Aufhören, Jude zu sein, könne man nicht durch die bequeme äußerliche Assimilation an den Menschen der bestehenden Gesellschaft, sondern nur durch die Teilnahme der Juden am revolutionären Selbstvernichtungs- und Erlösungsprozess des gegenwärtigen, seiner wahrhaften Menschheit entfremdeten Menschen. Nun folgt in der ursprünglichen Fassung der Schrift der Appell an die Juden: »Nehmt rückhaltlos an diesem selbstvernichtenden blutigen Kampfe teil, so sind wir einig und untrennbar!« In der Neuauflage von 1869 – eben dem Jahr, in dem die bürgerliche Gleichstellung der Juden durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes formell verankert wird – hat Wagner diesen Satz bezeichnend verändert: »Nehmt rückhaltlos an diesem, durch Selbstvernichtung wiedergebärenden Erlösungswerke theil, so sind wir einig und ununterschieden.« Und er fährt fort: »Aber bedenkt, daß nur eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluch sein kann: die Erlösung Ahasver’s, – der Untergang !« (GS V, 85) Nicht nur von Selbst vernichtung (deren Freiwilligkeit natürlich den Gedanken an eine physische Liquidation ausschließt) ist die Rede, sondern von Wiedergebärung, von Erlösung durch diese (Selbst-)Vernichtung – welche selbstverständlich nur ein symbolischer Akt ist, der eine mystische Umwandlung des ganzen menschlichen Wesens zur Folge haben soll. Durch sie wird der Jude erst zum wahrhaften Menschen – was der assimilierte Jude nicht sein kann, weil derjenige, an den er sich
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