Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
VIII, 500) Spekulationen über eine jüdische Abstammung und Wesensart Wagners – als Motiv seines Judenhasses – waren nicht erst seit Nietzsche in Umlauf, sondern geisterten im 19. Jahrhundert durch Karikatur, Parodie und Polemik. »Der Mensch haßt nur«, wird es später in Otto Weiningers Geschlecht und Charakter (1903) heißen, »durch wen er sich unangenehm an sich selbst erinnert fühlt«. Der Hass sei wie die Liebe ein »Projektionsphänomen«: »wer immer das jüdische Wesen haßt, der haßt es zunächst in sich: daß er es im anderen verfolgt, ist nur sein Versuch, vom Jüdischen auf diese Weise sich zu sondern; er trachtet sich von ihm zu scheiden dadurch, daß er es gänzlich im Nebenmenschen lokalisiert, und so für den Augenblick von ihm frei zu sein wähnen kann.«
Die ablehnende Haltung Wagners gegenüber dem Judentum taucht in seinen schriftlichen Äußerungen erst um 1850 auf. Weder seine früheren Beziehungen zu jüdischen Bekannten wie Samuel Lehrs (dem Gefährten der Pariser Elendsjahre), zu Ferdinand Hiller oder Berthold Auerbach scheinen durch antijüdische A ff ekte getrübt gewesen zu sein, noch gehen vereinzelte antijüdische Sottisen über das hinaus, was im 19. und frühen 20. Jahrhundert Jean-Paul Sartres Ré fl exions sur la question juive (1946) zufolge fast zum »Gesellschaftsspiel« unter Gebildeten (auch jüdischen) gehörte. Solchen Sottisen steht etwa Wagners großherzige Verteidigung Heinrich Heines in der Dresdener Abend-Zeitung vom 6. Juli 1841 gegenüber. Sein Pamphlet von 1850 schaltete sich in eine von seinem Freund Theodor Uhlig angefachte, zumal gegen Meyerbeer gerichtete Kampagne ein, wobei er im Grunde nur Argumente versammelte, die quer durch das gesamte politische Spektrum der Zeit verbreitet waren.
Der moderne Antisemitismus setzt historisch die grundsätzliche Lösung der Judenfrage durch die politische und soziale Gleichstellung der Juden voraus. Der Abschluss dieses Emanzipationsprozesses ist in Deutschland durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869 markiert, die zwei Jahre später zum Reichsgesetz erklärt wird. Erst im Jahr der Reichsgründung werden die letzten Ghettos geschlossen. Die antisemitische Bewegung seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, die im endlich geeinten deutschen Reich natürlich Aus fl uss des neuen nationalen Identitätsgefühls und der aus ihm resultierenden Abwehr von ›Fremdgruppen‹ ist, sucht den historischen Prozess der jüdischen Assimilation rückgängig zu machen, strebt die Juden wieder in eben die Separation zurückzudrängen, welche gerade der Erklärungsgrund für die traditionelle Judenfeindschaft gewesen ist.
Wagners Aufsatz von 1850 steht auf der Grenze zwischen überkommenem Antijudaismus und modernem Antisemitismus, der erst aus der politischen, sozialen und ökonomischen Entwicklung der 1870er Jahre erklärbar ist. Unter dem vermeintlich aufklärerischen Vorwand, das Abstoßende der »jüdischen Erscheinung« (GS V, 69) aufdecken zu müssen, um zu einer Befreiung von »Selbsttäuschung« gelangen zu können, beschreibt Wagner nun die Merkmale dieser Erscheinung, welche im Nichtjuden die »instinktmäßige Abneigung« auslösen. Verräterischerweise gibt Wagner in ein und demselben Satz zunächst vor, die Antipathie gegen Juden »erklären« zu wollen, um dann zuzugestehen, die Erklärung diene dazu, »diese instinktmäßige Abneigung zu rechtfertigen [!], von welcher wir doch deutlich erkennen, daß sie stärker und überwiegender ist, als unser bewußter Eifer, dieser Abneigung uns zu entledigen« (GS V, 67). Die vorgeblich aufklärerische Methode dient also einem durch und durch antiaufklärerischen Ziel: der Rechtfertigung, nicht der Überwindung der ins Bewusstsein gehobenen Aversion gegen alles Jüdische. Letztere erhält gewissermaßen eine moralische Unbedenklichkeitsbescheinigung.
Wagner entwickelt in seinem Pamphlet ein durch und durch negatives Klischeebild der jüdischen Art: er schreibt von einer abstoßenden äußeren Erscheinung des Juden, einer in Artikulation und Syntax hässlichen Sprache, einer leidenschaftslosen Rationalität, dem Mangel an genialer künstlerischer Produktivität, der »Fratze« des jüdischen Gottesdienstes, insbesondere des Synagogengesanges (GS V, 76), der Befähigung der Juden ausschließlich zum Geldgeschäft u. a.; und seine Argumentation läuft auf die vermeintliche Erkenntnis hinaus, dass die Assimilation der Juden gescheitert ist. Sein Angri ff gilt
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