Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
assimiliert, vom wahrhaften Menschen nicht weniger weit entfernt ist als er. Es kann kein Zweifel sein, dass diese quasi mystische Transsubstantiation des Juden, welche sich jenseits aller konkreten geschichtlich-gesellschaftlichen Erfahrung vollzieht, nichts anderes ist als die Wirkung des ungenannten ›Kunstwerks der Zukunft‹. Allein dieses kann aus Wagners Sicht den Juden ›erlösen‹, sofern er sich bedingungslos dem Selbstvernichtungsprozess unterwirft, der aus der depravierten Zivilisation zum utopischen Ideal jenes Kunstwerks hinführen soll.
Von daher erklärt sich auch Wagners Anziehungskraft auf Juden in seinem weiteren und engeren Wirkungs- und Lebenskreis, das zwischen Demütigung und Heilsangebot fl uktuierende Ritual seines Umgangs mit seinen jüdischen Freunden, zumal später mit seinem Parsifal -Dirigenten Hermann Levi. Der Pianist Joseph Rubinstein z. B. hat den Schluss des Judentum-Aufsatzes genau in dem hier erörterten Sinne verstanden, wenn er in seinem Brief vom Februar 1872 den Zugang zu Wagner sucht und die Bereitschaft, sich vollständig dem Bayreuther Unternehmen zu widmen, damit begründet, »daß die Juden untergehen müssen«. Der materialistische Philosoph und radikale Antisemit Eugen Dühring hat in seinem Buch Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage (1881) Wagners Erlösungsattitüde gegenüber den Juden einer höhnischen Kritik unterzogen. Sie sei ein Zeichen dafür, »daß Herr Wagner sich selbst nicht hat von den Juden erlösen können«; gerade sie stünden »im Gefolge der Leier des Bayreuther Orpheus«, da sein Judentum-Aufsatz sie zu der Ho ff nung berechtige, durch Anschluss an sein Werk »in eine höhere Geistessphäre erhoben« zu werden »und dass auf diese Weise der Gegensatz ausgeglichen würde. Die zur Bayreuther Orphik beisteuernden Leute vom Judenstamme werden also hiermit von ihren Judeneigenschaften losgesprochen. Das ist mehr als Ablaß.« Doch »was nicht einmal Christus erreicht« habe, werde Wagner erst recht nicht gelingen: »die Juden von sich selbst zu erlösen«.
In seinen Aufklärungen über das Judenthum in der Musik von 1869 hat sich Wagner, nicht ohne scheinheiligen Gestus, dagegen gewehrt, dass man ihm eine »für unsere aufgeklärten Zeiten so schmachvolle, mittelalterliche Judenhaß-Tendenz« unterstellt habe (GS VIII, 241). Von ihr glaubt Wagner sich – in Übereinstimmung mit dem »höheren Judenthum« – durchaus frei. Die »Schlußapostrophe des Aufsatzes« zeuge doch von einer für die Juden »ho ff nungsreichen Annahme«: »Wie nämlich von humanen Freunden der Kirche eine heilsame Reform derselben […] als möglich gedacht worden ist, so faßte auch ich die großen Begabungen des Herzens wie des Geistes in das Auge, die aus dem Kreise der jüdischen Sozietät mir selbst zu wahrer Erquickung entgegengekommen sind.« (GS VIII, 258) Wagner beschließt seine Aufklärungen mit einer auf die »Schlußapostrophe« des Judentum-Aufsatzes zurückgreifenden Feststellung: solle das Judentum »uns in der Weise assimilirt werden, daß es mit uns gemeinschaftlich der höheren Ausbildung unserer edleren menschlichen Anlagen zureife«, so sei es freilich »ersichtlich, daß nicht die Verdeckung der Schwierigkeiten dieser Assimilation, sondern nur die o ff enste Aufdeckung derselben hierzu förderlich sein kann« (GS VIII, 260).
Wagners Judenthum in der Musik ist nach seiner Wiederverö ff entlichung im Jahre 1869 immer wieder vorgehalten worden, er greife mit dem Judentum seine eigenen intellektuellen und künstlerischen Grundlagen an. »Denn gestehen wir’s nur, mit dem Aufsatze Das Judenthum in der Musik hat der humoristische Mensch nur eine genaue Charakteristik seiner selbst gegeben«, heißt es in einem Artikel des Beobachters an der Spree vom 24. Mai 1869, in Übereinstimmung mit zahllosen anderen Polemiken gegen Wagner. Die »Eigentümlichkeiten und Schwächen« seines eigenen Künstlercharakters entsprächen genau dem, so Gustav Freytag in seinem Aufsatz Der Streit über das Judentum in der Musik (1869), was er am jüdischen Künstlertum tadle. »Im Sinne seiner Broschüre erscheint er selbst als der größte Jude.« Wagner, »der tiefste Antisemit«, so später der jüdische Philosoph Weininger, sei »von einem Beisatz von Judentum, selbst in seiner Kunst, nicht freizusprechen«. Er musste »erst das Judentum in sich überwinden, ehe er die eigene Mission fand«.
Worin aber besteht dieses ›Judentum‹? In der Entwicklung der
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