Richter
Systems von Scheinfirmen einen Haufen Geld aus seiner Firma beiseite, die Sache betrifft viele Menschen, und das hat mich wütend gemacht, dermaßen wütend, denn diese Geschäftemacher pfeifen auf alle Regeln und hinterlassen jede Menge ruinierte Leute, die ihnen vertraut haben. So, und das macht mich wütend.«
Sanna nickte unmerklich. Ihn machte das auch wütend.
»Bei meinen Ermittlungen stelle ich fest, dass eine dieser Scheinfirmen eng mit dem Geheimdienst zusammenhängt. Also ist dieser Konkurs mehr als nur eine Unterschlagungsgeschichte, sondern offenbar eine aus dem Gleis geratene Schwarzgeldsache.«
Ohne es zu bemerken, war Valentina aufgestanden, derart von ihrem Bericht mitgerissen, dass sie allen Schwindel vergaß. Mit einer Hand hielt sie sich immernoch an der Rückenlehne des Sessels fest, doch sie bewegte sich vor und zurück, barfuß und im Schlafanzug, das zerwuschelte Haar fiel ihr auf die Schultern. Sie sah wirklich aus wie ein kleines Mädchen.
»Also bin ich zu meinem Vorgesetzten gegangen und habe ihm meinen Verdacht geschildert, aber er war nicht überzeugt. Im Gegenteil, er sagte, ich sei für diese Dinge nicht erfahren genug und er werde mir einen älteren Kollegen zur Seite stellen, ausgerechnet den Idioten, der jetzt dieses absurde Zeug über Ferro verbreitet. Und dann versuchen sie, mich umzubringen.«
Valentina schnappte nach Luft. Sie fühlte mit der Hand nach der Gaze, die die Wunde an ihrer Seite bedeckte. Darunter pulsierte es schmerzhaft.
»Ich würde da was Schlimmes vermuten«, meinte Sanna.
»Ich auch«, sagte Valentina, »aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, wenn eine Schwarzgeldsache dahintersteckt und außerdem krumme Dinger des Geheimdienstes, dann werde ich noch viel stinkiger. Leute, die über unseren Kopf hinweg bestimmen wollen, was sie für besser halten, besser für sich, natürlich, und dann hinter unserem Rücken agieren und darauf scheißen, ob es jemandem schadet oder ob jemand deswegen stirbt. Genau das ertrage ich nicht. Und genau darum bin ich Richterin, und darum kann ich diese Sache nicht einfach vergessen.«
Valentina setzte sich wieder in den Sessel, den Ellbogen auf der Armlehne, das Kinn in der Hand, die Lippen nachdenklich entschlossen nach vorn geschoben.Die andere Hand in die Seite gestemmt, die bloßen Füße übereinandergeschlagen.
Das Gesetz.
Das Gesetz im Schlafanzug.
Valentina hob den Blick zu Sanna. Die konzentrierte Falte zwischen ihren Augenbrauen entspannte sich ein wenig, aber nicht restlos. Ihr Blick allerdings blieb hart und entschlossen.
»Ich möchte Sie um dreierlei bitten. Etwas zum Anziehen und etwas zu essen, bitte, ich komme wirklich um vor Hunger. Das Dritte sage ich Ihnen nachher.«
Sanna nickte. Er dachte: Das Gesetz ist ein kleines Mädchen im Schlafanzug, und in diesem Moment wusste er genau: Er würde alles für sie tun, egal, worum sie ihn bat.
Nur in zwei Bars in Bologna bekam man einen so guten Pastis wie in Marseille. Er hatte ein paar Jahre dort gelebt, nachdem man ihm Berufsverbot erteilt hatte und es auch so aussah, als wolle man ihn wegsperren. Dem Gefängnis war er dank eines verschwägerten Anwalts entgangen, und so hatte er sich in Frankreich darauf spezialisiert, angeschossene Unterweltler zu behandeln. Als ihm auch dort der Knast drohte, war er nach Italien zurückgekehrt. Bologna schien ihm genügend inoffizielle Freiräume für seine Zwecke zu bieten, auch wenn er diese Meinung in den letzten fünf Jahren mindestens ein Dutzend Mal verworfen und wiedererlangt hatte.
Aber Bologna war eben Bologna und nicht Marseille, und einen Pastis, wie er ihn haben wollte, bekam Sannahier nur in einer Osteria in der Via del Pratello, deren Wirt eben aus Marseille stammte, und in einer kleinen Bar in der Via del Pilastro, wer weiß warum.
Der in der Bar war weniger gut als in der Osteria, allerdings lag sie etwas abseits, und er wollte von manchen Leuten nicht gesehen werden. Das Loch dort am Stadtrand zwischen den Betonblöcken, die so dicht gebaut waren wie Bienenwaben, wurde praktisch nie von der Polizei besucht. Und wenn doch, wussten es sofort alle.
Vor der Bar standen nur mit Plastikstreifen bespannte, ehemals weiße Stühle auf der Straße, keine Tische. Sanna nahm unter einem Blechdach in der Abendsonne Platz, das Glas auf dem Knie abgestellt. Er öffnete den obersten Hemdenknopf, den er stets geschlossen trug, doch jetzt Anfang Juli war es stechend heiß und dazu derart feucht, dass man ins
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