Richter
Pistole mit Schalldämpfer. Diese befand sich in der Hand eines der Ricciuti-Brüder, sie hätte nicht sagen können, ob das der Ältere war oder der Jüngere, denn in ihren Augen ähnelten sie sich wie Zwillinge. Sie wusste nur, einer war verletzt, der andere nicht. Und dieser hatte die Pistole, was nur gut war, denn der Verletzte war furchtbar wütend und wurde nur von seinem verbundenen Bein auf der Trage festgehalten.
Den Ricciutis hatte Sanna alles erzählt und sie vor die Alternative gestellt, ein Massaker anzurichten oder ihm zu vertrauen, und da die Brüder nicht die Typen für Gemetzel waren und ohnehin die Gelegenheit verpasst hatten, den in dem Büro ertappten Kerl mit der Hakennase dort abzuschießen und liegen zu lassen, hatten sie sich für die zweite Alternative entschieden. Abgesehendavon fehlte ihnen für alles andere ohnehin die Intelligenz.
»Autsch.«
Capitano Allegretti, oder wie immer er auch heißen mochte, regte sich, die Augen nach wie vor geschlossen. Er bewegte den Kopf hin und her, in einer Ecke des Zimmers am Boden sitzend, und schien sagen zu wollen: »Ach bitte, nur noch fünf Minuten!«
»Können wir ihn wecken?«, fragte Valentina.
»Klar«, sagte Sanna. Er nahm ein Glas Wasser, das neben der Trage stand, und schüttete es Allegretti ins Gesicht, der zusammenfuhr und so rasch einatmete, dass er etwas Wasser in die falsche Kehle bekam. Als er fertig gehustet hatte, sah er Valentina an und massierte sich die Stirn.
»Die Bambina!«, sagte er überrascht.
»Wie bitte?«
»Den Spitznamen haben die Anwälte Ihnen gegeben. Haben Sie das nicht gewusst?«
Inzwischen gab es außerdem noch einen weiteren, weniger schönen Spitznamen, der sie sicher wütend gemacht hätte. Seine Kollegen beim Geheimdienst hatten ihn in Umlauf gebracht, um die Hypothese vom eifersüchtigen Freund mit dem nervösen Finger am Abzug zu stützen. Aber den verschwieg er ihr.
»Nein, habe ich nicht.«
»Was tun Sie hier? Alle suchen Sie ...« Er sah sich um: ein kleiner Nervöser, ein Dicker auf der Trage, mit verbundenem Bein, und noch einer, bewaffnet, der genauso aussah wie der Dicke.
»Und wer seid ihr? Für welche Abteilung arbeitet ihr?«
»Ich stelle hier die Fragen, wenn Sie erlauben. Was hatten Sie im geheimen Büro des Buchhalters zu suchen?«
»Den Buchhalter.«
»Nein, diese Papiere hier.«
Und sie schlug mit der flachen Hand auf den rosa Aktendeckel, der neben ihr auf der Armlehne des Sessels lag. Für den Bruchteil einer Sekunde verzog Allegretti das Gesicht, was Valentina nicht entging. Sie unterdrückte ein Lächeln und schlug noch einmal auf den Aktendeckel.
»Ich weiß auch schon, was da drin ist. Überweisungen, Kontonummern, Firmennamen ... Alles, was ich brauche. Ich will wissen, in wessen Auftrag Sie die Unterlagen aus diesem Büro holen wollten, für wen Sie arbeiten.«
»Für den Staat. Ich bin Offizier der Carabinieri.«
»Das waren Sie vielleicht mal. Jetzt arbeiten Sie für den Geheimdienst.«
»Das sagen Sie. Und selbst wenn, dann würde ich ja immer noch für den Staat arbeiten, oder?«
»Für den Staat arbeite ich auch, aber offenbar stehen wir trotzdem nicht auf derselben Seite.«
Allegretti lächelte. Ohne die Hakennase, die sein Gesicht so raubvogelhaft hart wirken ließ, hätte er beinahe sympathisch wirken können.
»Dottoressa, Sie werden zwar die Bambina genannt, trotzdem wissen Sie doch, wie es auf der Welt zugeht.«
»Nein, wie geht es denn zu?«
»Es geht so zu: Seitdem es unser geliebtes Land gibt, war da immer jemand, der gern hätte, dass dieses Land anders funktioniert. Privatleute, vielleicht nicht immer dieselben, aber Leute mit denselben Interessen. Und da dieses schöne demokratische Italien anders funktionierte, als sie es wollten, mussten sie zusehen, wie sie die Situation steuern. Die Demokratie mit anderen Mitteln lenken, kurz gesagt.«
»Mit Bomben, Akten und schwarzen Kassen«, sagte Sanna.
Allegretti zuckte mit den Schultern. Er betrachtete Valentina, ihre Kleidung – Männerkleidung, offensichtlich nicht ihre eigene –, dann musterte er erneut die anderen, den Schmächtigen, denjenigen, den er angeschossen hatte, und den zweiten Dicken.
»Wer seid ihr eigentlich, verdammte Scheiße, und was ...«, fragte er.
»Wie gesagt, ich stelle hier die Fragen«, unterbrach ihn Valentina.
»Ach ja? Weil wir in Ihrem Büro sind? Das sieht mir hier aber nicht nach dem Gericht aus, diese Herrschaften hier sind ja wohl keine Richter, und Sie,
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