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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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Liebesfilme daran schuld, die ich so gern mit Frau Dahling gucke, zum Beispiel Der Förster im Silberwald, wo auch Rehe mitspielen. Aber zum größten Teil liegt es einfach daran, dass jedes Herz ein Schloss hat und Jule für meins der passende Schlüssel war, auch wenn ihre blonden Haare gerade eher so aussahen, als wäre eine Horde Kühe über die Butterblumenwiese gerast.Sie zerrte unter Ächzen und Schwitzen einen schweren Reisekoffer über die Türschwelle aus ihrer Wohnung und lächelte nicht mal, als sie mich sah.
    Â»Hey, Rico …«
    Etwas mehr Freude hätte ich schon erwartet, schließlich hatten wir uns ewig nicht gesehen, und ich freute mir gerade heimlich ein Loch in den Bauch. Aber Jule beachtete weder mich noch Oskar, weil es ihr gerade nur um diesen blöden Koffer ging. Hinter ihr in der Wohnung war niemand zu sehen, aber es war trotzdem so, als schwappte etwas von der dicken Luft zwischen ihr und Massoud zu uns raus in den Flur.
    Â»Willst du schon wieder in Urlaub?«, sagte ich und blinzelte dabei. Sie sollte wissen, ich meinte es nicht ernst. Frauen stehen auf Männer mit Humor, hat Irina mal gesagt.
    Â»Nee, ich hau ab zu meiner Mutter«, keuchte Jule. »Gibt Stress mit Massoud. Ich hab im Urlaub wohl ein Mal zu viel geflirtet, da ist er ausgerastet.«
    Am liebsten hätte ich sie gefragt, ob ich reingehen und Massoud eine verpassen sollte. Aber erstens ist er viel größer und älter und stärker als ich, und zweitens ist Massoud eigentlich voll okay. Der Mommsen meint zwar immer, dieser verdammte Perser sei garantiert ein Terrorist – eigentlich heißt Persien heute Iran, es gibt dort Erdöl und irgendwo in der Nähe steht das hübsche Häuschen vom toten Mausolos rum –, aber ich glaube ihm kein Wort, und falls Massoud doch mal die Dieffe 93 sprengt oder den Reichstag und dergleichen, kriegt der Mommsen das garantiert sowieso nicht mit, denn er liegt ja meistens nur befuselt irgendwo in seiner Wohnung rum.
    Â»Wie lang bleibst du denn bei deiner Mutter?«, sagte ich.
    Â»Weiß noch nicht.« Jule hatte den Koffer endlich vollständig in den Hausflur gewuchtet. Sie richtete sich auf, stemmte eine Hand in die Hüfte und wischte sich mit der anderen ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. »Bis ich hier in Berlin was Neues gefunden habe, schätze ich.«
    Dafür, dass es manchmal bei mir etwas länger dauert, ging es diesmal erstaunlich schnell. Wahrscheinlich, weil Jule und ich uns so nahe waren, auch wenn ich ihr meine innige Zuneigung und Liebe noch nicht gestanden hatte, weil ich noch nicht alt genug war zum Knutschen.
    Â»Eine neue Wohnung?«, rief ich bestürzt. » Du ziehst aus? Aber ich dachte, Massoud –«
    Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass die halbe Butterblumenwiese ihr wieder in die Stirn rutschte. »Der bleibt hier. Ist seine Wohnung, er ist der Hauptmieter – rückst du mal eben beiseite?«
    Sie schob den Koffer zwischen Oskar und mir hindurch, dann drehte sie sich noch mal um, packte nach dem Türknauf und steckte den Kopf in die Wohnung. »Arschloch!«
    Und RUMMS!
    Oskars Augenbrauen rutschten so hoch, dass man sie kurz über dem Rand der Sonnenbrille sah. Bei mir rutschte alles Mögliche irgendwohin, vor Schreck. Ich hatte Jule noch nieein A-Wort sagen hören, geschweige denn brüllen. Sie war sonst immer strahlend guter Laune, zum Beispiel, wenn sie erzählte, welche von ihren vielen Freunden aus der ganzen Welt gute Küsser waren und welche nicht und welche nur teilweise und so weiter. Ich hatte immer Angst gehabt, es wäre mal ein Halbitaliener dabei, weil ich dann in ein paar Jahren fürs Knutschen nicht mehr in Frage käme. Mama hatte nämlich mal zu Jule gemeint, sie sammele Knutsch-Nationalitäten wie andere Leute Briefmarken und dass es ihr Ehrgeiz sei, keine einzige doppelt zu kriegen. Jule hatte ihr schönes helles Lachen gelacht und geantwortet, stimmt, und das erste Album sei schon voll.
    Â»Wo wohnt deine Mutter?«, sagte ich.
    Â»Regensburg«, schnaubte Jule.
    Â»Echt? Da hat mein Onkel Christian gewohnt, bis er neulich tot war! Mama hat sein Haus geerbt und so weiter, auf der Karte unten links.«
    Â»Verstehe, Kleiner.« Jule zog ihren Rucksack ab und begann darin herumzuwühlen. »Aber Regensburg ist auf der Karte unten rechts.«
    Â»Ach … Klar, meinte ich ja.

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