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Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Titel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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durch, die uns den Weg blockierten, und unten angekommen, wich er blitzschnell jedem möglichen Unfall aus – er würde niemals eine frische Unterhose brauchen, ich schleppte mich völlig umsonst damit ab. Porsche gab in seinem Reisekasten keinen Mucks von sich. Ich hoffte, dass er nicht vor Aufregung alles einstrullte.
    Der Zug war schon reichlich voll, und unglücklicherweise drängten immer noch mehr Menschen rein. »Pfingstreiseverkehr«, murmelte Oskar. »Man sollte meinen, die wären alle gestern losgefahren!«
    Ich bekam kaum mit, was er sagte. Wenn es eng um mich wird, zum Beispiel in Menschenmengen oder in einem Fahrstuhl, kriege ich die Krise. Mein Herz schlägt schneller, und ich fange an zu schwitzen, und trotzdem ist mir dabei kalt. Aber es half nichts, jetzt hieß es –
    Â»Augen zu und durch!«, befahl Oskar.
    KLAUSTROPHOBIE
: Phobie kommt vom griechischen Wort für Angst. Die Angst vor Enge ist vermutlich nach einem Klaus benannt, der als erster Mensch der Welt in einem Fahrstuhl stecken blieb, und die Strophe kommt daher, dass er vor lauter Schiss anfing zu singen. Seitdem gibt es schöne entspannende Fahrstuhlmusik. Klaustrophobie wird oft verwechselt mit Platzangst, aber das ist Blödsinn, denn dann wäre der Klaus ja wohl explodiert.
    Ich krallte mich mit einer Hand an Oskars Ärmel fest. Mit der anderen umklammerte ich den Griff von Porsches Reisekasten. Mein Hals war trocken, mein Puls raste, und ich konnte nur hoffen und beten, dass meine Blutgerinnung und das Kalzium noch funktionierten. Von allen Seiten schoben und schubsten Menschen, um in den Zug reinzukommen, was viel schneller gegangen wäre, wenn sie sich ordentlich hintereinander angestellt hätten. Aber nee …
    Von hinten drückte mir ein älterer Mann seinen Koffer ins Kreuz, und von der Seite wollte sich eine junge Frau in einer dünnen Strickjacke zwischen Oskar und mir durchdrängen. Ihr Gesicht war so verzerrt, als wäre in Berlin Krieg ausgebrochen und sie hätte Muffe, den letzten Zug in Richtung Frieden und Freiheit zu verpassen.
    Â»Sie stehen auf meinem Fuß!«, trompetete eine Kinderstimme von irgendwo weit unten rauf nach oben. »Hallo?« Aber die Tussi drängelte einfach weiter, mit ausgefahrenen Ellbogen. Ich wollte sie gerade freundlich antippen, da brüllte sie erschrocken auf.
    Â»Verdammt, mich hat was gebissen!« Sie schenkte mir und dem Hundekasten einen bitterbösen Blick, als hätte Porsche sich durch die Plastikgitter und anschließend durch ihren Bauch gekaut. »Halt gefälligst deinen Köter im Zaum, okay?«
    Â»Gehen Sie mal lieber von meinem Freund runter!«, schnappte ich zurück. »Sonst kriegen Sie eine Anzeige wegen Kindesmord!«
    Â»Mord ist mit Vorsatz«, kam es von dem älteren Mann hinter mir. »Das hier wäre nur fahrlässige Körperverletzung.«
    Â»Fahren lässt uns ja keiner!«, rief ich über die Schulter. »Nicht mal einsteigen! Aber ich krieg gerade eine Körperverletzung von Ihrem Koffer!«
    Â»Oh – tut mir leid.«
    Tatsächlich ließ der Druck in meinem Rücken sofort nach, das war ja schon mal was. Trotzdem wurde mir immer schwärzer vor Augen. Die Tussi in der Strickjacke hatte sich weitergekämpft und blaffte schon die nächsten Leute an. Echt, so was! Neben mir wurde die Zipfelbommel einer peruanischen Strickmütze sichtbar. Oskar drückte sein Gesicht nach oben und schnappte nach Luft. Zwischen seinen Zähnen hingen lauter bunte Wollfasern.
    Â»Bernstein!«, japste er. »Bernstein!«
    Das war unser geheimes Codewort. Wir hatten es im Metro-Bus abgemacht, für absolute Notfälle, wie zum Beispiel einen überfüllten Zug, zu dem wir zu spät kamen. Wenn das Codewort erklang, musste ich einen ganz bestimmten Satz rufen. Ich hasste diesen Satz. Ich hatte ihn mal in Kreuzberg ausprobiert, in einem Gedränge beim Maifest, und da war nur zurückgekommen, klar, Alter, du und deine Mutter! . Aber abgemacht war abgemacht, und Oskar drohte unterzugehen wie ein Ertrinkender. Ich atmete so tief ein, wie es eben ging, und brüllte los.
    Â»Lassen Sie uns durch! Lassen Sie uns doch bitte durch! Ich bin behindert! Ich bin behindert!«
    Und zack, tat sich vor uns eine Gasse auf, die bis zum Einstieg in den Zug reichte! Es war, als hätte Moses soeben auf wundersame Weise das Rote Meer geteilt.
    MOSES
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