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Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Titel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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Führte das Volk Israel aus ägyptischer Knechtschaft in die Freiheit. Es ist nicht besonders weit von Ägypten nach Israel, aber der Moses brauchte dafür vierzig Jahre. Womöglich war er tiefbegabt und hat sich öfters verlaufen. Später überbrachte er den Menschen noch die Zehn Gebote, in denen Gott zum Beispiel befiehlt, dass keiner ein falsches Zeugnis kriegt. Das war auch das Mindeste, nach dem Patzer mit dem Mathe-Fluch bei der Sintflut!

    Bis alle Leute eingestiegen waren und sich einigermaßen auf die Waggons verteilt hatten, war der Zug längst losgefahren. Selbst dann blieb es unruhig, denn jeder wollte unbedingt einen Sitzplatz, von denen es aber zu wenige gab. Es gab nicht mal richtige Abteile, wie ich welche erwartet hatte, sondern nur Sitzreihe um Sitzreihe, wenn auch ein paar davon mit Tischen, an denen man sich wenigstens gegenübersitzen konnte – wenn man einen Platz hatte.
    Â»Sollen wir uns einen suchen?«, sagte ich.
    Â»Nee, wir finden eh keinen.« Oskar fummelte sich die letzten Wollfasern aus dem Mund. Er wirkte total genervt. »Lass uns einfach hier im Gang sitzen.«
    Taten wir, nahe der Tür, aber das war keine gute Idee. Erstens mussten wir total aufpassen, dass wir nicht platt getrampelt wurden, und zweitens hatten viele Leute Sandalen an, wo ihre nackten Zehen und Fersen rausguckten. Falls mal jemand Lust hat, sich so richtig zu ekeln vor kantig geschnittenen oder gesplitterten Fußnägeln, bröckelndem Nagellack und schorfiger Haut an klobigen Fersen, muss er sich bloß im Sommer in so einem Regionalexpress auf den Boden setzen. Es war echt gruselig. Ich drückte verzweifelt den Hundekasten an mich und hörte Porsche unglücklich winseln. Ich ließ ihn durch das Gitter an meinen Fingern lecken und redete leise auf ihn ein, aber bis er sich einigermaßen abregte, gingen fünf Schokodrops drauf, drei davon für ihn. In mein Schoko mischte sich der Geschmack von Vanille. Oskar roch es ebenfalls. Er guckte kurz in den Kasten, schüttelte den Kopf, als er das Duftbäumchen sah, und verzog die Nase.
    Â»Hast du Angst, dass er da reinmacht und es dann stinkt?«
    Â»Es hat schon vorher gestunken. Nach Katze. Deshalb.«
    Â»Hunde haben einen viel empfindlicheren Geruchssinn als Menschen. Wenn du nicht willst, dass er alles vollkotzt, solltest du das Bäumchen rausnehmen.«
    Ich ließ es drin. Vanille war für einen Hund garantiert besser als Katze. Und Oskar suchte sowieso bloß nach irgendwas zu meckern, weil er so abgenervt war. Die nächsten zehn Minuten verbrachte er damit, auf eine pickelige nackte Männerwade mit massenweise violetten Äderchen drin zu gucken. Sie sahen aus wie die verzweigten Risse in einer zersprungenen Fensterscheibe.
    Â»Das geht so nicht!«, entschied er endlich leise. »Ich such mir lieber einen Stehplatz am Fenster. Eher krieg ich später selber auch mal Krampfadern, bevor ich mir die hier weiter angucke.«
    Â» Das sind Krampfadern?«, flüsterte ich.
    Â»Nee, noch nicht. Aber es könnten welche werden.«
    Frau Dahling hatte mal von ihrem Schiss vor Krampfadern erzählt. Man kriegt sie vom langen Rumstehen, und sie stand doch schon seit Jahren bei Karstadt hinter der Wursttheke. Heute steht sie da auch, dachte ich. Und dann kam schon wieder eine Trauerwelle, weil ich das Gefühl hatte, Frau Dahling schmählich im Stich gelassen zu haben. Sie hatte uns gestern Abend die köstlichsten Müffelchen gemacht, und ich hatte nicht mal bei ihr geklingelt, um zu fragen, wie ihr Tanzabend mit dem van Scherten gelaufen war, und selbst wenn es ein toller Abend gewesen war, würde der van Scherten sie am Ende nicht heiraten wollen, nur weil sie Krampfadern kriegte.
    Â»Oskar?«
    Â»Hm?«
    Â»Ist das normal, dass ich dauernd traurig werde?«
    Â»Wegen was?«
    Â»Weiß nicht. Wegen den Beinen von Frau Dahling. Wegen allem.«
    Â»Das liegt an Fitzke. Der Tod erinnert uns an die Vergänglichkeit von allem. Da kriegt man Ängste.« Er überlegte. »Wir könnten einen Bernstein für Frau Dahling suchen.«
    Â»Ist der gut gegen Krampfadern oder Vergänglichkeit?«
    Â»Nein. Einfach so. Sie ist immer so nett.«
    Er drückte sich vom Boden hoch und schob sich an dem Mann mit den pickeligen Waden vorbei Richtung Tür. Ich wuchtete mich auch nach oben, was umständlich war, wegen Porsches Kasten, und ein bisschen

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