Rico, Oskar und die Tieferschatten
fest zu drücken, also drückte ich Mollie nicht. Aber ich ließ sie in meinem Zimmer rumlaufen, und eines Tages war sie verschwunden und tauchte nicht wieder auf.
»Das wars«, sagte Mama, nachdem wir mindestens drei Mal die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt hatten. »Keine Hamster mehr. Ich glaube, Frederico, du bist noch nicht in der Lage, für etwas Kleines wirklich Verantwortung zu übernehmen. Tut mir leid. War wohl mein Fehler.«
Oskar war fertig mit Wippen und drehte sich zu mir um.
»Bitte sehr! Zufrieden?«
»Für den Anfang ganz okay«, sagte ich großmütig.
»Und du?« Er musterte mich. »Hast du vor gar nichts Angst?«
»Doch. Ich hab Angst, ich könnte mich mal in der Stadt verirren«, gab ich zu. »Ich find mich nicht zurecht, weißt du. Mit dem vielen links und rechts und dergleichen.«
»Ist das schon mal passiert?«
»Nee, ich war ja noch nie allein unterwegs. Wäre aber auch gar nicht so schlimm, eigentlich. Mama sagt, wenns mich irgendwann mal erwischt, soll ich mich einfach in ein Taxi setzen und nach Hause bringen lassen. Falls sie nicht da ist, wird schon irgendwer aus dem Haus das Geld vorlegen.«
»Gute Idee. Und sonst, außer Verirren?«
Vorsichtshalber schüttelte ich den Kopf. Es gab da zwar etwas, vor dem ich mich noch mehr fürchtete als vor dem Verirren, und ich hatte auch schon darüber nachgedacht, dass ich Oskar darin einweihen musste, sobald wir echte Freunde wurden. Schließlich vertrauen Freunde einander. Nur war ich mir nicht sicher, ob er wirklich schon mein echter Freund war. Ich musste das überprüfen.
»Kommst du morgen wieder?«, fragte ich ihn.
Ich spürte, wie mein Kopf rot wurde vor Aufregung. Das war ein ziemlich schlauer Test, fand ich. Echte Freunde haben immer füreinander Zeit. Sie wollen möglichst viele schöne Dinge miteinander erleben. Wenn Oskar jetzt nein sagte ...
Er guckte mich zögerlich an, wie etwas, das im Regal im Supermarkt vor ihm lag und von dem er nicht sicher war, ob er es wirklich kaufen wollte. Er kratzte sich am Arm. Er zupfte an seinem Ansteckflieger. Er knabberte mit seinen großen Zähnen auf der Unterlippe herum.
»Eigentlich«, sagte er dann, »habe ich morgen schon was vor. Das kann den ganzen Tag dauern.«
Fast konnte ich hören, wie mein Herz auf den Dachfliesen der RBs aufschlug. Aber nur fast. Im letzten Moment gab Oskar sich einen Ruck. »Das kann ich aber auch später erledigen, schätze ich«, sagte er schnell.
Erleichtert streckte ich einen Arm aus. »Sind wir jetzt echte Freunde?«
Er drückte seine kleine Hand in meine. Sie war ganz warm. Er lächelte. »Sind wir das nicht schon die ganze Zeit?«
Jetzt sitze ich hier und schreibe, obwohl ich normalerweise um diese Zeit längst schlafe. Aber Mama ist mit Irina und ihren neuen Fußnägeln ausgegangen — sie hat sich doch noch welche aufgeklebt, kleine weiße Margeriten mit superwinzigen gelben Blütenstaubdingern in der Mitte (das guck ich jetzt nicht nach), und hat gesagt, ich darf ins Bett gehen, wann ich Lust habe. Immerhin sind ja Ferien. Tja, und jetzt sitze ich hier und muss alles aufschreiben, was ich überlege, damit ich es morgen noch weiß.
Erst mal muss ich feststellen, dass es zur Hälfte ein sehr erfolgreicher Tag war. Oskar ist jetzt mein Freund, auch wenn er einen an der Waffel hat, und Mama findet, dass der Bühl eine scharfe Schnitte ist, auch wenn sie nicht mit ihm anbändeln will. Anbändeln ist erst Ausgehen, dann Verlieben, Heiraten und Kindermachen. Ich könnte Mama sagen, dass mir die Reihenfolge egal ist, dann überlegt sie es sich vielleicht anders und lädt den Bühl doch noch fiir morgen zum Bingo ein.
Hoffentlich!
Vorhin hab ich im Nachdenksessel gehockt und zum Fenster rausgeguckt. Es ist nämlich immer noch so gut wie Vollmond, und wenn man den Kopf ein bisschen verdreht, kann man ihn zwischen den Ästen von diesen Bäumen mit der komischen Pelle-Rinde sehen. Heute ist der Mond ganz orange. Womöglich brennt's da also gerade in knapp vierhunderttausend Kilometern Entfernung. Jedenfalls, ich saß da so und dachte über den Tag nach, und da fragte ich mich plötzlich, was das eigentlich heute im Treppenhaus war, diese Sache mit dem Auffahrunfall. Ich meine, heute ist Montag! Warum ist da einer wie der Bühl überhaupt im Treppenhaus unterwegs gewesen? Der muss doch irgendeinen Job haben, sonst könnte er nicht eine so teure Wohnung mieten. Hat der gerade Urlaub, oder was? Genauso der Kiesling - auch am helllichten Tag auf Achse,
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