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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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geschoben und half mir beim Auseinanderdrücken der Bambusstangen. Seine Finger waren kurz und die Nägel winzig und abgekaut. Da würde nicht mal das kleinste von Mamas Nagellackbildern draufpassen.
    »Was ist das für ein Häuschen, das mit dem spitzen Dach?«, sagte er. »Da ganz hinten links?«
    »Wo ist noch mal links?«
    Am liebsten hätte ich mir auf die Zunge gebissen. Ich hatte die Frage gar nicht stellen wollen, sie war mir einfach automatisch aus dem Mund gepurzelt. Das blöde Häuschen sah ich schließlich direkt vor mir, jedenfalls sein Dach, denn der Zugang war von beiden Seiten durch weitere Paravents aus Bambus unseren Blicken verborgen. Aber Oskar sagte nur:
    »Links ist, wo man das kleine Dach sieht.«
    »Genau. Klar. Pass auf: Von dem Häuschen aus kommt man eigentlich über eine Treppe runter ins Hinterhaus. Aber nur früher, jetzt nicht mehr. Der Marrak hat mich mal reingucken lassen, als ich mir seine Wohnung angeschaut habe. Die Tür zum Häuschen ist abgeschlossen, im Hinterhaus gab es nämlich mal eine Gasexplosion. Seitdem ist es einsturzgefährlich.«
    Oskar wandte mir ruckartig den Kopf zu. Um ein Haar hätte er mir mit dem hochgeklappten Visier ein Ohr abgesäbelt. »Es ist was?«
    »Einsturzgefährlich. Wenn du so schlecht hörst unter deinem komischen Helm —«
    »Es heißt gefährdet, nicht gefährlich.«
    »Hab ich doch gesagt.«
    »Hast du nicht.«
    »Hab ich wohl.«
    »Hast du wohl!«
    »Hab ich nicht!«
    Oskar zog triumphierend die Nase hoch. »Na bitte.«
    Irgendwas war bei dem schnellen Schlagabtausch schiefgegangen, aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Oskar zeigte auf das Häuschen mit der abgeschlossenen Tür hinter den Paravents. »Warum sollte ich mir das angucken?«
    »Weil ich da mit dir reinwill.«
    »Ins Hinterhaus?«
    Ich nickte.
    »Jetzt spinnst du aber wirklich! Wenn es einsturzgefährdet ist, kriegen mich da keine zehn Pferde rein.«
    Meine Güte, ich wollte ja auch nicht da reinreiten! Eigentlich wollte ich mich bloß endlich mal davon überzeugen, dass es keine Tieferschatten im Hinterhaus gab. Und kein geistiges Fräulein Bonhöfer. Mit Oskar an meiner Seite wäre das nicht gruselig, sondern ein tolles Abenteuer für uns beide.
    »Und da das Hinterhaus genauso abgeschlossen ist wie das Häuschen da drüben«, Oskar zeigte auf das spitze Dach, »besteht sowieso keine Chance. Wofür hältst du mich, für einen Schlossknacker?«
    »Ich dachte, wir fragen den Marrak nach einem Schlüssel. Er könnte ja mitgehen. Wir könnten gucken, was in den verlassenen Wohnungen noch alles drin rumfliegt«, unternahm ich einen letzten lahmen Versuch. »Ein paar tolle alte Sachen. Oder so.« »Vergiss es.«
    Die Antwort kam so entschlossen, dass ich sauer wurde. »Hast du etwa schon wieder Angst?«, sagte ich herausfordernd.
    »Mit Angst hat das nichts zu tun. Nur mit Vernunft.« »Also doch!«
    »Du kannst einen echt nerven, weißt du das?«, sagte Oskar mit einem Seufzer. Er holte tief Luft und ging zur Gitterbrüstung, über die man in den Hinterhof schauen kann. Vorsichtig beugte er sich darüber, wenn auch nur ein winziges Stück. Er stellte sich sogar auf die Zehenspitzen und begann ganz sacht zu wippen, wie zu unhörbarer Musik.
    Als ich ihn so da stehen sah, passiert was Komisches: Ich musste an Mollie Eins und Mollie Zwei denken. Mollie Eins war ein Geschenk von Mama zu meinem fünften Geburtstag. Ich hatte noch nie zuvor einen Hamster gesehen, oder ich hatte mal einen gesehen, es aber vergessen. Jedenfalls fand ich Mollie toll. Sie puckerte durch die Gegend und schnupperte mit ihrer winzigen rosigen Nase in die Luft. Mama hatte sie in ein kleines geflochtenes Körbchen gesetzt und ihr eine gelbe Schleife um den Bauch gebunden.
    »Einen Käfig gibt's natürlich auch. Den hab ich im Wohnzimmer versteckt. Wart mal, ja, Schatz?«
    Ich hatte nur begeistert genickt und Mollie aus dem Körbchen genommen. Etwas so kleines und warmes Lebendiges wie sie hatte ich nie zuvor in den Händen gehalten. Ich drückte sie fest an meine Brust, weil ich sie so liebhatte, und es machte knack.
    Mollie Zwei kriegte ich eine Woche später, weil ich nicht mehr aufhörte zu heulen. Sie zog in den Käfig der unvergessenen Mollie Eins. Die hatte ich inzwischen mit Mama in einem kleinen Park begraben, von dem ich inzwischen leider den Namen nicht mehr weiß, aber ich hoffe, es geht ihr gut.
    Mollie Zwei hielt viel länger als ihre Vorgängerin. Mama hatte mir eingeschärft, sie nicht zu

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