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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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während wir die letzten Stufen in den Fünften nahmen, drehte er sich immer wieder um, als erwartete er, dass Fitzke doch wiederauftauchen und hinter uns herstürmen könnte. Und bis ich uns in die Wohnung der Runge-Blawetzkys einließ, blieb seine rechte Hand zu einer Faust geballt.
    Bevor die RBs letzten Freitag in den Urlaub abgezischt sind, haben sie mich gefragt, ob ich ihre Zimmerpflanzen und die Blumen auf dem Dachgarten versorge. Gegen ein kleines Taschengeld. Klar, hab ich gesagt. Da war ich noch scharf auf ein neues Basecap, aber da wird nun wohl nichts mehr draus. Inzwischen habe ich nämlich beschlossen, das ganze Geld in den Reichstag zu stecken, für den Fall, dass Mama ein möglichst großes Stück von mir von Mister 2000 freikaufen muss.
    Wenn man bei den RBs reinkommt, geht's durch einen großen offenen Flur in eine noch größere Wohnküche. Aus den Fenstern hat man eine schicke Aussicht, über das flache Urban-Krankenhaus und die nächsten Straßen hinweg bis rüber nach Tempelhof. Eine schmale Treppe führt direkt aus der Küche rauf auf den Dachgarten. Mehr gibt es bei den RBs zurzeit leider nicht zu besichtigen, das hab ich schon ausgekundschaftet. Sie haben alle übrigen Räume vorsorglich abgeschlossen, sogar das Zimmer von ihrem dicken Thorben, der mich heimlich immer verarscht, wenn kein anderer es mitkriegt. Vermutlich denken die, ich würde bei ihnen herumschnüffeln. So was von misstrauisch. Ihre gesammelten Zimmerpflanzen hatten sie vor der Abreise zum Gießen auf den Küchentisch gestellt. Ich lotste Oskar daran vorbei und vor mir her die Treppe rauf. Die Wohnung interessierte ihn überhaupt nicht, er sah sich nicht mal neugierig um.
    Der Dachgarten von den RBs hat die Form von einem ausgebreiteten Handtuch. Wenn man aus der Terrassentür tritt, kann man bis zur Brüstung gehen und in den Hinterhof runtergucken, oder man geht auf die andere Seite und guckt runter auf die Dieffe. Es stehen gerade mal ein paar Blumentöpfe und bepflanzte Kübel mit Grünzeugs rum. Der meiste Platz wird von Holzstühlen, einem Tisch und einer Bank eingenommen, und wenn man sich ein Kissen für unter den Hintern mitnimmt und einen Comic und eine Cola, kann man es sich ziemlich gemütlich machen. Die Luft trägt die Geräusche der ganzen Stadt mit sich, ein nie endendes, gedämpftes Brummen und Summen und Rauschen. Und die Aussicht ist phänomenal.

    Wenn man in der Mitte des Dachgartens steht, die Arme ausstreckt und sich im Kreis dreht, kann man in jede Himmelsrichtung über Berlin gucken. Man sieht hunderte von Häuserdächern und tausende grüner Baumkronen, die gläserne, in der Sonne blitzende Reichstagskuppel, jede Menge Kirchtürme, den Fernsehturm am Alex, die Hochhäuser am Potsdamer Platz und, ein bisschen weiter weg, sogar das Schöneberger Rathaus. Am Himmel über einem ist fast immer irgendwo ein Flugzeug unterwegs, das in Tempelhof oder Tegel startet oder landet. Dreht man sich etwas schneller, flirren all diese Bilder ineinander und es wird einem schwindelig. Und dreht man sich wahnsinnig schnell, flitscht man wahrscheinlich mit ein paar Blumentöpfen über eine der Brüstungen und rauscht mit ihnen um die Wette nach unten, in den Hinterhof oder auf den Gehsteig, wo man dann zerplatzt wie eine reife Tomate. Echte Blutmatsche und dergleichen. Weshalb ich wahnsinnig schnell noch nie versucht habe. Ich bin ja nicht völlig plemplem.
    Oskar war von alldem kein bisschen beeindruckt. Er drückte sich mit dem Rücken gegen die Terrassentür, und was der Helm von seinem Gesicht freigab, war sehr bleich. Sogar seine Stimme war irgendwie bleich, als er sich beklagte. Und vorwurfsvoll.
    »Du hast gesagt, hier oben wäre es toll und ungefährlich!«
    »Ist es doch auch.«
    Meine Hoffnung, er würde den Helm mal abnehmen, konnte ich mir wohl abschminken. Was war bloß mit ihm los? Ich hatte angenommen, dass jemand, der immer nur an geplättete Radfahrer und überfahrene Fußgänger dachte, sich über ein bisschen Abwechslung freuen würde. Und es war ungefährlich hier oben, außer natürlich, ein Flugzeug plumpste aufs Haus. Ich überlegte, ob ich Oskar fragen sollte, wie viel er über Flugzeugabstürze wusste, aber vermutlich war das keine gute Idee.
    »Ich war noch nie auf einem Dach«, sagte er kläglich.
    »Und jetzt weiß ich auch, warum.«
    Ich zeigte auf die Brüstung in Richtung Dieffe. »Du warst nicht mal bis am Rand. Du kannst dich doch am Geländer festhalten.«
    »Ich kann auch schwimmen«,

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