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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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man auf jedem mühelos ein kleines Glas mit einem kühlen Getränk drin abstellen.
    »Wie der Vater des Jungen soeben erklärte } brach sein siebenjähriger Sohn gegen neun Uhr dreißig von zu Hause auf um einen Freund zu besuchen. Aber der kleine Oskar kam nie dort an.«
    Ich verstand kaum, was die Sprecherin sagte. In meinen Ohren war ein komisches Rauschen. Jetzt sah man wieder Oskars Vater zwischen den vielen Reportern.
    »Ich hab mich noch gewundert, warum er ohne Helm losgezogen ist. Er geht normalerweise nie ohne Helm aus dem Haus! Wir leben in einer großen Stadt, unsere Straßen sind gefährlich. Das hab ich ihm immer wieder gesagt.«
    »Warum haben Sie Ihren Sohn nicht begleitet? War das eine bewusste Verletzung Ihrer elterlichen Aufsichtspflicht?«
    »Kein Kommentar.«
    »Wussten Sie, wen Oskar besuchen wollte? Ist es sicher, dass dieser Freund, zu dem er angeblich aufbrach, überhaupt existiert?«
    »Kein Kommentar.«
    »Um zehn Uhr dreißig heute Vormittag erhielt Oskars Vater; der den Jungen allein aufzieht, einen Anruf des Entführers. Auch das ist
    ungewöhnlich und neu: Bisher hat der Kidnapper sich ausnahmslos per Brief an die Eltern seiner Opfer gewandt. Die Forderung des Entführers ist jedoch dieselbe wie immer: 2000 Euro. Ein Ort für die Übergabe des Lösegeldes wurde noch nicht vereinbart.«
    Das Rauschen in meinen Ohren ließ nach. 2000 Euro, dachte ich, 2000 Euro. Offenbar hatte Oskars Vater keine reichen Freunde oder Verwandten, die ihm so viel Geld leihen konnten. Eine Frau hatte er auch nicht. Und Oskar besaß bestimmt keinen Reichstag. Für jemanden, der so viel Angst hatte, war das eigentlich ziemlich unvorsichtig. Sogar ich sparte inzwischen für meine Entführung.
    Ich zuckte zusammen, als Frau Dahling wie ein Schatten von der Seite her auftauchte und den Teller mit den Müffelchen auf dem Tisch abstellte. Ich hatte sie gar nicht ins Wohnzimmer kommen hören. Sie klopfte das plüschige Kissen mit dem Gefrimsel dran zurecht, das sie sich immer hinter den Rücken steckt, und setzte sich neben mich auf das Sofa.
    »Vielleicht kriegen sie den Drecksack ja jetzt!«, schnaubte sie. »Könnte doch sein, jemand hat den Jungen heute früh gesehen und erinnert sich daran.«
    Sie lehnte sich in das Kuschelkissen zurück, schob sich ein Müffelchen in den Mund und kaute darauf herum. Leberwurst mit Gurke. Ich musterte sie heimlich von der Seite. Vermutlich würde sie mir glauben, wenn ich sagte, dass ich Oskar nicht nur kannte, sondern dass er heute Morgen zu mir unterwegs gewesen war. Und weil sie mir glaubte, würde sie mich zur Polizei schleppen, damit die mich verhörten: Woher und seit wann ich Oskar kannte und wann wir uns zuletzt gesehen und wann wir uns für wann miteinander verabredet hatten. Worüber wir geredet hatten. Ob Oskar irgendetwas erwähnt hatte, woraus man schließen könnte, dass er seinen Entführer kannte. Die Polizei würde mich auseinandernehmen wie Miss Marple ihre Verdächtigen. Die Bingomaschine würde durchdrehen.
    Ich würde an einem roten Kopf sterben.
    In der Glotze blendeten sie jetzt das Büd des ersten entführten Kindes ein. Ich wusste, wie es weiterging, das hatten sie schon tausend Mal gemacht: Ein Kind nach dem anderen würden sie zeigen. Dazu erklang mitleidige Musik, als wären die Opfer alle zerschnibbelt zu Hause angekommen statt am Stück.
    »Denen fällt auch nichts Besseres ein, als immer wieder auf die Tränendrüsen zu drücken«, sagte Frau Dahling. »Ich leg uns mal besser den Film rein. Wo hab ich ihn denn, ach ja, Handtasche oder was?«
    Sie stemmte sich aus dem Sofa und verschwand in den Flur. Ich starrte weiter wie betäubt auf den Bildschirm. Mein Freund Oskar war das neueste Entführungsopfer, und er hatte nicht mal eine Mama, die sich deshalb Sorgen um ihn machte! Womöglich war sie tot oder dergleichen. Ich konnte es nicht fassen. Ich hätte Angst um Oskar haben müssen oder Mitleid in diesem Moment, aber das kam erst später. Jetzt, während die Bilder der entführten Kinder an mir vorbeizogen, kam ich mir nur vor wie eine völlig leergekratzte Kuchenteigschüssel.
    Als das zweite Opfer eingeblendet wurde, guckte ich genauer hin: Es gab ein neues Foto von Sophia. Anscheinend hatten ihre Eltern endlich gemerkt, was für ein bescheuertes Büd von ihrer Tochter ständig im Fernsehen gezeigt wurde, und hatten denen von der Abendschau ein besseres gegeben. Sophia stand auf einem Spielplatz, neben einem Schaukelpferd auf Sprungfedern. Das

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