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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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Mitte, und dabei hören wir coole russische Musik. Wo es uns gefällt, steigen wir aus und setzen uns vor schicke Lokale. Die Sonne scheint dabei auf Irinas goldene Fußkettchen und auf Mamas Fingernägel mit rosafarbenem Glimmer oder dergleichen, und die Frauen trinken Champagner und lachen sich tot, und ich trinke Cola und freue mich, dass so viele Männer Mama toll finden, die gucken sie nämlich alle an, auch wenn Mama nie einen von ihnen fragt, ob er mal was abhaben möchte von ihrem Schampus.
    Aber mich alleine in Berlin zurechtzufinden, ist eine ganz andere Sache. Schon die Vorstellung, nach Tempelhof aufzubrechen, ohne die genaue Richtung zu kennen, ließ mich wie versteinert auf dem Gehsteig stehen. Mamas dicken Stadtplan traute ich mich nicht aufzuschlagen. All die Linien und bunten Farben, dazu das winzige Geschreibsel und die vielen komischen kleinen Zeichen: Nichts für Rico! Der Stadtplan und die Bingotrommel in meinem Kopf waren wie füreinander geschaffen.
    Das fing wirklich gut an.
    Ich drehte mich um, als hinter mir die Haustür aufging. Der Kiesling sieht nicht so toll aus wie der Bühl, aber auch nicht viel schlechter. Wie aus dem Ei gepellt ist er immer, hat Frau Dahling mal gesagt, und das stimmt. Er trägt todschicke Klamotten und Schuhe und er hat eine riesige Sonnenbrillen-Sammlung. Frau Dahling fragt sich immer, wie er all den Schnökes bloß bezahlt mit seinem Zahntechniker-Gehalt. Der Kiesling geht nämlich außerdem jede Woche einmal zum Friseur, und ihm gehört das coolste Auto aus der ganzen Dieffe, ein alter Porsche, in dem noch nicht alles automatisch funktioniert. Der Wagen stand direkt auf der anderen Straßenseite. Den Schlüssel dazu hielt der Kiesling in der Hand, als er aus der Tür trat.
    Manchmal, wenn man eine gute Idee hat, kriegt man für einen Moment fast keine Luft mehr. Unglücklicherweise bemerkt das dann jeder gleich an der Gesichtsfarbe. Der Kiesling sah es sogar durch seine dunkle Sonnenbrille.
    »Alles in Ordnung, Rico?«, sagte er.
    Ich zwang mich zum Einatmen und nickte. Wir kennen uns nicht so gut. Der Kiesling fands damals nicht so toll, als ich mir seine Wohnung angucken wollte, und wenn wir uns im Treppenhaus treffen, unterhalten wir uns fast nie.
    »Du bist früh unterwegs«, sagte er. »Habt ihr nicht Ferien?«
    »Ich hab auf Sie gewartet«, antwortete ich.
    Jetzt schob er überrascht die Sonnenbrille zurück. »Auf mich?«
    »Ich muss in Ihre Richtung«, sagte ich. Das Zahnlabor, in dem er arbeitet, Hegt in Tempelhof. Darauf hätte ich schon viel früher kommen können.
    »Tempelhof? Was willst du denn dort?«
    »Eine Freundin besuchen.«
    »Ach ja?« Wenn er grinst, sieht er immer ein bisschen arrogant aus. »Ich dachte, Freundinnen besucht man abends.«
    »Nicht so eine Freundin!« Fast hätte ich ihm erklärt, dass ich in Jule verknallt bin, aber das ging ihn nichts an. Ich fragte ihn ja auch nicht nach seinen Verknallereien und seinen Typen aus.
    »Also, nehmen Sie mich mit?«
    »Sei mein Gast!«, sagte er und zeigte auf den Porsche. »Aber wenn du den Wagen dreckig machst, werfe ich dich auf der Stelle raus!«
    Wir überquerten die Straße und er schloss mir die Beifahrertür auf. Kaum saß ich, kramte ich den Stadtplan aus dem Rucksack, schlug ihn auf und strichelte mit einem Finger darauf herum. Der Kiesling stieg auf der anderen Seite ein, schnallte sich an und warf einen Blick auf den Stadtplan.
    »Was suchst du da?«
    »Die Schule.«
    »Welche Schule?«
    »Vor der ich mit meiner Freundin verabredet bin, auf dem Spielplatz.«
    »Ich dachte, du willst nach Tempelhof. Warum hast du den Grunewald aufgeschlagen?«
    Es war eine von den wenigen Doppelseiten im Stadtplan, auf der nicht so beunruhigend viel draufstand. Alles hübsch grün vor lauter Bäumen, auch wenn ich bis gerade eben geglaubt hatte, das sollte Wiesen darstellen. Die meisten eingezeichneten Wege hatten keine Namen, die einen durcheinanderbringen konnten, und an einer Seite floss schön blau die Havel vorbei. Ich hielt dem Kiesling den Stadtplan unter die Nase.
    »Könnten Sie mal für mich nachgucken? Ich finde mich nicht zurecht«, gestand ich widerwillig.
    »Wegen deiner Behinderung, oder?«
    Wie der das so locker sagte, und wie er schon wieder dabei grinste! Ich musste mir auf die Zähne beißen, um ruhig zu bleiben. Wenn ich den Kiesling jetzt anbrüllte, würde er mich nie bis Tempelhof mitnehmen. Es nervt, wenn manche Leute einen für total bescheuert halten, nur weil man manchmal

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