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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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Kein Teppich, sondern Parkettfußboden, weiß gestrichen. Die Wände ebenfalls weiß, genauso die Regale. Sie waren erst zur Hälfte eingeräumt, Bücher standen und lagen darin und CDs. Nirgends sah ich ein Bild oder ein Poster, nirgends schönen Schnickschnack, wie bei Frau Dahling oder bei uns in der Wohnung. Ein weißes Ledersofa, davor ein Tisch. Ein leeres Glas stand auf einer aufgeschlagenen BILD-Zeitung. Es war nass am Boden und hatte einen welligen Rand genau auf den nackten Busen von Cindy gezaubert. Cindy kommt aus Hohenschönhausen, stand da in dicken Buchstaben, ist zweiundzwanzig und von Beruf Fußpflegerin. Mehr konnte ich auf die Entfernung nicht lesen. Echt, dass der Bühl sich so was Schweinisches anguckte! Ansonsten lag aller mögliche Krempel über den Tisch verstreut: Stifte, ein Notizbuch, Kassenzettel und dergleichen. In einer Ecke des Raums stand ein kleiner Fernseher auf dem Fußboden, in der anderen eine Musikanlage.
    »Sonst alles im Lot?«, sagte der Bühl hinter mir.
    Es klang wie eine Frage, die man stellt, wenn man nicht weiß, was man sonst sagen soll. Es klang außerdem wie eine Frage, auf die man nur ja antworten kann, also murmelte ich ja.

    Ich faltete die Hände hinter dem Rücken und guckte zur Decke rauf. Wenigstens die war hübsch, sogar sehr hübsch -alter Stuck, und ausnahmsweise farbig angemalt.
    »Wie gehts denn deiner Mutter?«
    Es sah fast wie ein Urwald aus. Es gab jede Menge ineinander verschlungener Blümchen und Blätter in Orange und Gelb und Rot. Ein paar von ihnen wirkten so echt, als würden sie aus der Decke nach unten wachsen. Das würde Mama gefallen.
    »Rico?«
    »Hm?«
    »Wie es deiner Mutter geht.«
    »Sie findet, dass Sie eine scharfe Schnitte sind. Allerdings ...«
    Etwas Grün zwischen den anderen Farben wäre nett gewesen. Oder überhaupt etwas völlig anderes als das viele Blümchen- und Blätterzeugs. Ob es wohl Stuck mit Fischen gab? Dann sähe so eine Zimmerdecke aus wie ein Aquarium. Aus einer Ecke könnte eine Schildkröte kommen, und aus einer anderen ein leckerer kleiner Speisefisch. Und in der Mitte schwamm ein Blauwal, der so groß — Der Bühl räusperte sich laut. Ich drehte mich zu ihm um. Er stand im Türrahmen, die Daumen in die Hosentaschen gesteckt. Er lächelte wieder, aber er sah dabei so ungeduldig aus wie jemand, der es einfach nicht abwarten kann, bis man sein Aquarium zusammengestellt hat.
    »Ja?«, sagte er. »Allerdings?«
    »Na ja, ich schätze, sie kann sich nicht in Sie verlieben, weil sie dann an Papa denken muss.«
    »Oh - verstehe.« Jetzt lächelte er nicht mehr. Er guckte, als hätte er gerade eine schlechte Note in einer Klassenarbeit gekriegt. »Ich, ehm, ich hatte angenommen, ihr lebt allein?«
    »Tun wir ja auch. Papa ist schon lange tot.«
    Und jetzt guckte er, als hätte der Lehrer gesagt, dass er ihm die falsche Arbeit zurückgegeben und er doch eine Eins hätte. Sein Gesicht war sehr braun, als hätte er die letzten Tage draußen in der Sonne verbracht. Nur die kleine Narbe am Kinn leuchtete hell.
    »Das tut mir leid für dich.« Seine Stimme war plötzlich so warm, dass ich das Gefühl hatte, das ganze Winterzimmer um mich herum würde auftauen. »Es tut mir leid für euch!«
    »Er starb an einem stürmischen Tag«, sagte meine Stimme ganz von selbst. »Im Herbst war das. Papa wollte —«
    Ein Handy klimperte. Der Ton war hübsch. Es klang, als würde eine Maus über die Tasten eines Klaviers rennen.
    »Entschuldigung!« Der Bühl hob einen Finger. »Nicht weglaufen, ja? Auf den Anruf habe ich gewartet. Kann aber nicht lange dauern.« Er drehte sich um und spurtete nach draußen. Das Geklimper brach ab.
    Frederico, dachte ich, du spinnst doch wohl! Ich war drauf und dran gewesen, dem Bühl meine geheimsten Sachen zu erzählen, dabei war ich nicht mal mit ihm befreundet. Wie hatte er das bloß geschafft? Das ging jedenfalls gar nicht. Wenn er wiederkam, würde ich sagen, ich müsste leider gehen.
    Er war in das Zimmer schräg gegenüber verschwunden. Ich reckte den Hals - die Küche. Er sprach mit gedämpfter Stimme in sein Handy. Ich verstand kein Wort, und bevor ich in den Flur schleichen konnte, um besser zu lauschen, war das Telefonat auch schon beendet. Ich zog den Kopf wieder ein und guckte unauffällig.
    »Ich muss leider gehen«, sagte der Bühl, als er wiederkam. Er sah immer noch nett aus, wirkte aber ganz geschäftig. Von irgendwo aus dem Flur hatte er eine dünne braune Lederjacke mitgebracht. »Aber

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