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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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ein bisschen langsamer ist als sie. Als würde mein Gehirn versuchen, mit einem Auto ohne Lenkrad zu fahren.
    Ich beschwere mich ja auch nicht darüber, dass die anderen zu schnell denken oder weil irgendjemand alle möglichen Himmelsrichtungen und rechts und links erfunden hat oder Backöfen mit siebenundzwanzig verschiedenen Einstellmöglichkeiten, um ein einziges popeliges Brötchen aufzubacken.
    »Ich bin nicht absichtlich tiefbegabt und außerdem nur ein bisschen«, sagte ich sauer und zeigte auf den Stadtplan. »Manchmal weiß ich bloß nicht, wo vorn und wo hinten ist und dergleichen.«
    »Ach, echt?«, sagte der Kiesling. »Na dann, willkommen im Club.«
    »Das ist ja wohl nicht so schlimm, oder?«
    »Habe ich auch nicht behauptet.«
    »Aber dafür ist mein Gedächtnis absolut fabelhaft!«
    »Hey, schon gut!« Er hob beide Arme, als würde ich ihn mit einer Pistole bedrohen. »Tut mir leid, wenn ich dir zu nahe getreten bin. Also, wie heißt denn diese Schule?«
    Ich lehnte mich in den Sitz zurück. »Hab ich vergessen.«
    Er seufzte ungeduldig. »Hör mal, Kleiner, so wird das nichts! Es gibt Gott weiß wie viele Grundschulen in Tempelhof, die kann ich unmöglich alle mit dir abklappern.«
    Ich zog nur die Nase hoch. Der Kiesling verdrehte die Augen.
    »Also gut, pass auf: An einer Schule fahre ich direkt vorbei, die liegt praktisch auf dem Weg. Dort setze ich dich ab. Danach musst du zusehen, wie du dich allein zurechtfindest. Ich kann nicht wegen dir zu spät zur Arbeit kommen.«
    Ich öffnete den Mund, um zu antworten.
    »Und keine Diskussionen!« Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss und nuschelte fast unverständlich: »Gab Montag schon genug Stress, weil ich mir den Nachmittag freigenommen hatte.«
    »Wofür denn?«, fragte ich interessiert. Montag war der Tag gewesen, an dem ich ihn zusammen mit dem Bühl und dem Marrak im Treppenhaus gesehen hatte.
    »Das geht kleine Jungs nichts an.«
    »Warum nicht?«
    »Weils was mit großen Jungs zu tun hat.«
    Dann eben nicht! Der sollte sich bloß nicht einbilden, ich hätte noch nie zwei Männer knutschen sehen oder dergleichen. Ich drückte mich beleidigt noch tiefer in den Sitz. »Fahren wir jetzt los?«
    »Sobald du dich angeschnallt hast, Chef.« Der Kiesling schob sich die Sonnenbrille vor die Augen und drehte den Zündschlüssel um. »Und wenn du mir versprichst, dass du unterwegs um Himmels willen die Klappe hältst!«

    Es war ein sehr großes Glück, dass die Schule, vor der mich der Kiesling absetzte, auf Anhieb die richtige war. Wer weiß, wie die Sache sonst ausgegangen wäre. Ich erkannte das Gebäude sofort wieder, die roten Backsteine, die bemalten Fenster, sogar das Pferd mit den Sprungfedern auf dem Spielplatz entdeckte ich.
    Hinter mir gab der Kiesling ordentlich Gas und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Ich sah ihm kurz nach. Die Fahrt mit dem Porsche war der Hammer gewesen! Es hatte sich nicht wie fahren angefühlt, sondern wie über dem Boden schweben. Der Motor hatte geschnurrt wie eine zufriedene Katze, und der Kiesling hatte kaum das Lenkrad bewegen müssen. Okay, das lag daran, dass wir anfangs eine ganze Weile geradeaus gefahren, nur einmal an einer Kreuzung abgebogen und dann wieder ewig weit geradeaus gefahren waren. Trotzdem war es cool gewesen. An jeder Ampel hatte der Kiesling ungeduldig aufs Gaspedal getreten. Dann hatte der Motor aufgeröhrt, und alle Leute hatten uns angeguckt. Toll!
    Erst zuletzt war es schwierig geworden: Hier ein bisschen in die eine Straße rein und da ein bisschen in die nächste, noch mehr Kreuzungen, noch mehr Ampeln, und dazwischen die Bingokugeln in meinem Kopf, die alle mit derselben Stimme klackerten: Du findest nie zurück nach Hause, du findest nie zurück nach Hause ...
    Wir würden ja sehen!
    Ich blickte mich um. Der hier und dort von grünen Büschen umwachsene Spielplatz vor der Schule war leer. So gut wie niemand geht um halb zehn Uhr morgens auf einen Spielplatz, aber das war keine Blödheit von mir, sondern ich hatte es erwartet. Je länger ich mich hier aufhielt, umso größer war die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu treffen, der mir weiterhelfen konnte: ein Kind, das hier ebenfalls zur Schule ging und Sophia kannte, das berühmte Mädchen, das entfuhrt worden war.
    Ich stapfte ein wenig herum. Die Sitzflächen der Schaukeln glänzten nass. Der Sand in den Sandkästen war dunkelgrau und pappig. Im Gestänge der Klettergerüste hingen überall dicke Tropfen. Etwas abseits, auf dem

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