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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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ich mir nicht behalten.«
    »Doch, das kannst du. Du hast ein fabelhaftes Gedächtnis, lass dir von keinem was anderes erzählen.«
    »Aber Politik verstehe ich nicht.«
    »Wenn alle, die sie nicht verstehen, in dein Förderzentrum geschickt würden, müsste dort bald angebaut werden.«
    »Es ist nicht mein blödes Förderzentrum!«, grummelte ich leise.
    Sie wedelte mir mit dem Brotmesser vor der Nase herum »Nun geh schon, husch, husch! Ich mag's nicht, wenn man mir in der Küche um die Beine streicht.«
    Mürrisch ging ich ins Wohnzimmer. Ich ließ mich aufs Sofa plumpsen, schnappte mir die Fernbedienung und schaltete die Riesenglotze ein. Das Programm ist immer auf RBB eingestellt, damit Frau Dahling ihren geliebten Ulf Brauscher nicht verpasst. Noch bevor das Bild da war, hörte man schon die Stimme einer Frau.
    »— der seit drei Monaten ganz Berlin in Atem hält, hat, wie soeben bekannt wurde, ein sechstes Opfer entführt. Unsere Sondersendung informiert Sie über die aktuellen Entwicklungen — in einem Fall } der sich auf überraschende Weise von seinen Vorgängern zu unterscheiden scheint!«
    Jetzt sah man die Frau, eine Kollegin von Ulf Brauscher. Ab und zu wechseln sich die zwei bei den Berlin-Nachrichten ab. Die Frau versuchte ganz besorgt zu gucken, schließlich ging es ja um ein Kind. Aber das nahm ich ihr nicht ab.
    Die gucken immer besorgt im Fernsehen, wenn es um Kinder geht, und im Supermarkt ballern sie dir dann ihren Einkaufskorb ins Kreuz oder schubsen dich fast in die Gefriertruhe, weil du ihnen im Weg stehst.
    Trotzdem, das hier war spannend. Die Sprecherin erklärte, es sei ungewöhnlich, dass der Kidnapper erst letzten Samstag ein Kind freigelassen und sich nun schon wieder ein neues geschnappt habe. Es stimmte, das war echt fix, fand ich. Vielleicht hatte Mister 2000 Angst bekommen, dass er in den Sommerferien keine Kinder mehr abkriegen würde, weil gerade alle in den Urlaub fahren.
    Eine Karte von Berlin wurde eingeblendet, auf der nacheinander ein paar Bezirke deutlich hervortraten: Wedding, Charlottenburg, Kreuzberg und Tempelhof, Lichtenberg.
    »Die Entführungen folgen keinem erkennbaren Muster. Die Polizei geht davon aus, dass Mister 2000 ziellos mit dem Auto herumfährt und die Kinder in sein Fahrzeug lockt, sobald sich eine passende Gelegenheit bietet.«
    Nun trat auch noch Schöneberg hervor, daher kam also offenbar das neue Opfer. Die übrigen Bezirke blieben blass. Sechs rote Punkte leuchteten auf der Karte auf, an jeder Entführungsstelle einer.
    »Und«, rief Frau Dahling aus der Küche, »was gibts Neues?«
    »Der ALDI-Kidnapper hat wieder ein Kind entführt!«
    »Grundgütiger ... Stell mal lauter! Müch oder Sprudel?«
    »Müch bitte!«
    Ich regelte mit der Fernbedienung die Lautstärke hoch.
    »Zum ersten Mal in der Geschichte der Entführungen hat der Vater eines Opfers sich an die Polizei gewandt } ohne zuvor das geforderte Lösegeld zu bezahlen.«
    Die sechs Bezirke und die roten Punkte wurden von wackeligen Kameraaufnahmen ersetzt. In der oberen rechten Ecke des Bildschirms stand jetzt Live-Ubertragung . Man sah einen ziemlich jungen Mann, der wirklich nicht den gepflegtesten Eindruck machte. Ihm wurden so viele Mikrofone vor die Nase gehalten, dass man sein Gesicht in dem Gedränge kaum sah. Immer wieder kniff er die Augen zusammen, weil Blitzlichter ihn blendeten. Von allen Seiten riefen Reporter ihm Fragen zu.
    »Warum haben Sie die Polizei informiert? Der Kidnapper droht regelmäßig damit, die entführten Kinder —«
    »Ich habe das Geld nicht«, sagte der junge Mann. »So einfach ist das.« Und verächtlich fügte er hinzu: »Ich musste mich an die Polizei wenden, sonst würde keine Bank der Welt mir einen Kredit geben. Nicht mal für ein entführtes Kind.«
    »Was ist Kredit?«, rief ich in Richtung Küche.
    »Geld, das man sich für eine Weile bei jemandem leiht!«, rief Frau Dahling zurück. »Später muss man dafür mehr zurückzahlen, als man vorher gekriegt hat.«
    Ich wollte sie gerade fragen, ob sie sich vielleicht etwas von mir leihen wollte, aber genau in diesem Moment blendeten sie im Fernsehen ein Foto des neuesten Opfers ein. Mir blieb das Herz stehen.
    Das Kind war ein Junge.
    Der Junge war Oskar.
    Obwohl er seinen Helm nicht trug, erkannte ich ihn sofort. Keiner hat so grüne Augen wie Oskar und keiner hat so große Zähne. Kann sein, dass auch keiner solche Segelohren hat. Sie standen fast waagrecht von Oskars Kopf ab und sahen aus, als könnte

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