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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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aus wie jemand, der locker eine Wohnungstür aufbrechen konnte.
    Gut, nächste Möglichkeit. In der Wohnung direkt unter mir geisterte Fitzke herum, garantiert zu Hause, garantiert lärmempfindlich, wenn ich nur ordentlich auf dem Fußboden herumstapfte - und garantiert gemein genug, mich dem Bühl mit einem eiskalten Lächeln auszuliefern! Er würde dafür nur meinen Kopf verlangen, denn er sammelte Kinderköpfe, mit denen er in seiner stinkigen Bude Fußball spielte, und für seine Sammlung fehlte ihm nur noch die Rübe von einem Tiefbegabten.
    Weiter rauf ging es auch nicht, außer auf den Dachgarten. Von dort aus konnte man prima über die Dächer der Nachbarhäuser flüchten — vorausgesetzt, man machte keinen einzigen falschen Schritt und stürzte nicht ab. Da könnte ich im Vorbeifliegen gerade noch rasch Frau Dahling zuwinken und für all die Müffelchen danken, aber das war´s dann auch schon.
    PLATSCH!
    Und wenn ich mich durch den Paravent auf den Dachgarten vom Marrak durcharbeitete? Mit etwas Glück stand seine Terrassentür auf, immerhin war es draußen ordentlich sommerheiß. Aber dann? Der Marrak war hundertprozentig bei seiner Freundin, um ihr neue Wäsche zu bringen oder um zur Abwechslung mal mit ihr zu knutschen. Dann steckte ich in seiner Wohnung fest statt in der von den RBs. Und falls der Marrak doch zu Hause war, würde er mir nicht glauben. Ich wusste, dass er mich genauso wenig leiden konnte wie der Kiesling oder der Fitzke. Plötzlich hatte ich das schreckliche Gefiihi, dass alle möglichen Menschen mich nur deshalb einigermaßen freundlich behandelten, weil sie mich für behindert hielten. In Wirklichkeit ging ich ihnen auf die Nerven, aber das sagt man einem Spasti natürlich nicht, damit er nicht losheult. Der Marrak jedenfalls würde sich bloß über mich kaputtlachen und — noch schlimmer — mich womöglich zum Bühl schleppen. Für einen kleinen Spaß zwischen Männern. Der Bühl würde so lange warten, bis der Marrak gegangen war, und mich anschließend in dünne Streifen schneiden, die er dann in ein Paket packte, das er an Mama schickte, während Oskars Streifen um dieselbe Zeit auf dem Postweg zu dessen Papa waren.
    Auf die einfachsten Ideen kommt man manchmal erst zum Schluss. Mein Blick fiel durch den Flur der RBs auf ihr Telefon. Das war mehr als nur die Lösung — es war die Rettung! Ich konnte von Glück reden, dass der Anschluss nicht im verschlossenen Wohnzimmer lag oder dass die misstrauischen RBs es vor mir versteckt hatten aus lauter Angst, ich könnte eine von den Frauen mit den dicken Brüsten aus dem Nachtfernsehen anrufen, das ist nämlich wahnsinnig teuer.
    Ich ging zum Telefon, nahm es aus der Schale und starrte es an. Mamas Handynummer kenne ich nicht auswendig, ich kann mir die vielen Zahlen nicht merken. Deshalb hat Mama mir die Nummer irgendwann zweimal aufgeschrieben: Der eine Zettel hängt über unserem eigenen Telefon im Flur, neben dem Spiegel mit den Dickebackenengeln. Den anderen Zettel habe ich damals eingesteckt und später natürlich verloren. Tausend Mal habe ich mir seitdem vorgenommen, die Nummer neu abzuschreiben, und tausend Mal hab ich es wieder vergessen.
    Das hatte ich jetzt davon.
    Dann grinste ich. Es gibt eine Telefonnummer, die ich auswendig kenne. Sie hat bloß drei Ziffern. Selbst ein Volltrottel kann sie auswendig lernen. Mama hat sie mich wochenlang beim Frühstück aufsagen lassen: »Wen rufst du an, wenn du in Not bist und mich nicht erreichen kannst?«
    Ich holte tief Luft, tippte die Eins, noch mal die Eins und zuletzt die Null und lauschte in den Hörer. Es dauerte eine ziemlich lange Weile, bis jemand abnahm. Wenn der Bühl direkt mit einem Messer hinter mir her gewesen wäre, überlegte ich, hätte er mir in dieser Zeit schon mindestens die Nase und beide Ohren abgerunkelt. Dann endlich, als ich schon dachte, ich hätte mich vertippt — »Notruf«, quäkte mir eine Männerstimme ins rechte Ohr. »Was kann ich für Sie tun?«
    Auf einmal ging mir alles zu schnell. Ich hatte mir gar nicht überlegt, was ich sagen wollte. Jetzt war ich plötzlich durcheinander, bevor ich überhaupt richtig durcheinanderkommen konnte.
    »Hallo?«, sagte ich zaghaft.
    »Notruf. Bitte sprechen Sie!«
    »Mein ... mein Name ist Frederico Doretti«, stotterte ich. »Ich bin ein tiefbegabtes Kind. Deshalb kann ich zum Beispiel nur geradeaus laufen und möchte einen Entfuhrer anzeigen. Hallo?«
    »Junger Mann, hör mir mal zu -«
    »Mister 2000!«,

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