Riemenschneider
einsichtig, er muss frei bleiben«, antwortete er und war in Gedanken schon weiter. »Hinaufschweben soll sie, von Engeln geleitet. Deshalb darf nichts starr wirken. Verstehst du, Tobias?«
»Wie wäre es mit einer Federstange.«
»Nein, nein. Fest angebracht muss sie schon sein. Jede Schwingung von ihr reibt sonst an den Engeln.« Til benetzte die Unterlippe. »Wir bleiben bei meiner Berechnung. Das Gestänge kommt in den Rücken. Und halte genau die Maße ein, Junge. Wenn noch die beiden Säulen und die Apostel dazukommen, wird’s eng da oben.«
Gegen Abend saßen die Männer draußen. Um die letzten Sonnenstrahlen des Augusttages noch zu genießen, hatten sie den aus rohem Holz gezimmerten Tisch vor die Westmauer der Kirche gerückt. Schwer stützten sie die Arme auf. Nichts war vom Schinken und der Wurst übriggeblieben, nebeneinander steckten ihre Messer zwischen den wenigen Brotresten. Die Haushälterin hatte Wort gehalten; nachdem die erste Kanne geleert war, hatte Tobias die zweite aus dem kühlen Mauerschatten geholt und die Becher wieder gefüllt. Leise unterhielten sich Geselle und Knecht, um den Meister nicht zu stören.
»Ich muss nachdenken«, hatte er vor einer Weile gebeten, und seitdem starrte Til mit fast geschlossenen Lidern über die Friedhofsmauer, über die tiefer unten am Hang stehenden Buschkronen in die sinkende Sonne über dem Kamm der Anhöhe jenseits des Tals; nur hin und wieder schirmte er seine Augen, wandte sich um und sah, als müsste er sich vom Schmerz erholen, mit steiler Stirnfalte zur Kirchenwand hinauf. Erst als der Glutball versunken war, trank er ohne abzusetzen sein Bier und ließ sich von Tobias nachschenken. »Ihr auch. Bitte!«
Seine Helfer hoben die Becher.
»Auf unser Glück. Auf dass es uns erhalten bleibt!«
Rupert lächelte breit, und im rechten Mundwinkel zeigte sich die dunkle Lücke. »So gut wie bei Euch, Meister, hab ich’s noch nie angetroffen.«
»Auch mir ist es so wohl wie lange nicht mehr. Für einige Tage kein Stadtrat, keine Werkstatt und kein Kindergeschrei …« Er sprach nicht weiter. Anna? Einen Lidschlag lang öffneten sich vor ihm die Gräber des kleinen Friedhofs, und er sah hinab, sah den schmalen Sarg. Ehe Tobias fragen konnte, fand er zurück. » … Nur mit euch und unserm Altar hier in der Stille. Das mein ich.«
Am Montag weckte der Meister seine Helfer schon beim ersten Morgenschimmer. »Wir müssen uns sputen.« Nur dieser eine Tag blieb noch, und er wollte ihn dehnen, die Zeit verdoppeln. Beim Schein der Lampen montierten sie die am Vortag mit den vier Reliefs ausgestatteten Flügel an den Hauptschrein. Erst nachdem alle Scharniere festgeschraubt waren, prüfte der Meister, ob die Seitenteile genau schlossen. Der rechte Flügel passte nicht, mit der nach oben geschwungenen Kante fügte er sich nicht in den Kielbogen des Hauptschreins. »Ich ahnte es«, brummte Til vor sich hin. »Links, die Verkündigung und Heimsuchung bereiten keine Schwierigkeiten. Aber der Stall und …«
»Ihr seid nicht gerecht …«, unterbrach ihn Tobias empört. »Die Scharniere sind schuld.« Er pochte mit dem Hammerstiel gegen die Rückwand des linken Flügels. »Glaubt Ihr etwa, nur weil Ihr Euch Zeit genommen habt, das Bild mit Maria und dem Engel selbst zu schnitzen, würde diese Seite glatter schließen?«
»So war das nicht gemeint, Junge. Ich wollte deine Arbeit nicht herabmindern«, beschwichtigte Til und öffnete den rechten Flügel wieder. »Es war ein Scherz. Mit der Qualität der Bilder bin ich mehr als zufrieden. Beide, die Anbetung im Stall und auch die Darbringung des kleinen Jesus im Tempel, zeugen von großem Können, deinem Können.«
Weil Tobias nichts antwortete, nur die Lippen aufeinanderpresste, unterbrach der Meister die Arbeit und bat ihn und Rupert nach draußen vor das Portal.
Morgenkühle, vom Bach herauf zogen Nebelstreifen. »Glaubt mir, auch ich bin sehr angespannt.« Til sog tief den Atem ein. »Wir haben in den vergangenen Tagen viel geleistet und uns nicht geschont. Dafür danke ich euch. Doch heute ist der letzte Tag. Morgen soll hier Mariä Himmelfahrt mit einer Messe gefeiert werden. Dann muss unser Altar aufgebaut sein. Und dieses Ziel können wir nur gemeinsam erreichen.«
Nur halb besänftigt nickte der Altgeselle vor sich hin, mit der Fußspitze schob er einen weißen Kiesel Stück für Stück von sich weg. Da legte ihm Rupert freundschaftlich den Arm um die Schultern und sah den Meister an. »Ich denke, dass wir nie fertig
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