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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Schreien. Dem Waffenknecht bebten die Lippen, zutiefst rührte ihn die so ungewohnt leise Enttäuschung seines Herrn. »Ja, Herr … einfach getreten. Das ist schlimm.«
»Und dann noch: Was ist das für ein Vater, der seinen Sohn im Stich lässt?«
»Das ist … das ist kein guter Vater.«
»Du sagst es …« Aus den Augenwinkeln nahm Götz wahr, wie der Medicus den Deckel vom Krug nahm, und gleich ging sein Atem wieder schneller. »Geh und hol mir Sinterius her, sag ihm, er soll das Schreibzeug mitbringen. Ich werde …«
»Bitte, Herr«, wagte der Arzt ihn zu unterbrechen. »Bitte, es ist notwendig, dass ihr noch einmal ruhiggehalten werdet. Meine Hirudos, also diese Egel, sind zwar hungrig, aber dennoch sehr empfindsam. Wenn sie sich an den richtigen Stellen festgesaugt und zugebissen haben, werdet Ihr nach einer Weile schon Linderung empfinden und die Prozedur dann ohne heftige Bewegungen ertragen.«
»Sorgst du dich etwa mehr um deine Würmer als um mich?«
Darauf ging der Medicus nicht ein, sagte nur: »Die Hirudos sind mir verlässliche Assistenten.«
Das schmerzhafte Fluchen blieb in Maßen, auch gab es weder jähes Aufbäumen noch eine Gegenwehr, mannhaft ertrug der Ritter die Behandlung; sein Waffenknecht aber würgte und stöhnte, weil er, so nah am Geschehen, Augenzeuge beim Ansetzen der glitschigen Sauger sein musste. Als der Medicus ihn von der Aufgabe entband, atmete der Tapfere befreit und war froh, das Blutfestmahl verlassen zu können, um den Schreiber zu rufen.
Auf dem Flur schon gründlich vorgewarnt, bat Sinterius gleich nach seinem Eintreten, während des Dikates vorn neben dem Ritter stehen zu dürfen, mit Blick zum Fenster. »So werde ich weniger abgelenkt.«
»Weichling.« Die Schmerzen hatten nachgelassen, und Götz von Berlichingen gewann Spott und Überheblichkeit zurück. »Ihr jungen Kerle seid immer mit dem Maul ganz vorn dabei. Aber wenn es drauf ankommt, dann wackeln euch die Knie.«
»Wenn Ihr es verlangt, Herr. Ich … kann mich auch zu Euerm Gesäß …«
»Schluss damit!« Götz stieß ihm mit dem Armstumpf leicht gegen das Ohr. »Hör genau zu und notiere, was in dem Schreiben an den Bischof von Bamberg drinstehen muss. Ich will meinen Knappen wiederhaben. Und zwar ohne Lösegeld, weil ich dem frommen Herrn gegenüber keine Untreue begangen habe. Im Gegenteil. Der Bischof soll sich gnädiger Weise an Schweinfurt erinnern, dort hat er mich um eine Gefälligkeit gebeten. Hast du das?«
»Verzeiht, Herr!« Sinterius tunkte die Feder wieder ein. »Um dem Brief mehr Nachdruck zu verleihen, wäre es gut, wenn ich die Gefälligkeit etwas genauer beschreiben würde.«
»Ein ganz gewöhnlicher Raubzug. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit hat mich Bischof Georg gebeten, für ihn einige Mainzer Kaufleute auszunehmen. Und ich hab ihm den Reiterdienst geleistet.«
Sinterius ließ die Feder im Fass und bekreuzigte sich.
»Was soll das?«
»Um Vergebung. Ich erinnerte mich gerade an meine Flucht aus dem Kloster. Damals fürchtete ich das Leben in Demut und Gebet. Wenn ich aber jetzt höre, wie wenig sich die frommen Herren von uns unterscheiden, dann hätte ich auch getrost meine Laufbahn als Mönch fortsetzen können.«
»Willst du etwa die scheinheiligen Pfaffen mit dem ehrbaren Ritterstand gleichsetzen?«
»Um Gottes willen nein«, wiegelte Sinterius sofort ab, »Treue und Ehre sind beim Klerus nur selten anzutreffen.«
»Will ich meinen.« Götz rieb das Kinn an den Narben seines Armstumpfes. »Zum Schluss schreibst du dem Bischof: Wenn er mir den Knappen nicht freiwillig hergibt, dann werd ich mir den Buben auf meine Weise zurückholen.«
»Eine Fehde? Soll ich sie klar aussprechen?«
Eine Zeit lang war nur tiefes Grummeln zu hören, dann seufzte Götz vor sich hin. »Nur androhen … Erst mal nur androhen. Und jetzt geh an die Arbeit!«
Über die Schultern blaffte er den Arzt an: »Wie lange noch? Der Schmerz ist weg. Oder willst du etwa deine Würmer auf meine Kosten durchfüttern?«
»Das vorzeitige Abnehmen könnte die heilende Wirkung gefährden.« Der zittrige Ton zeigte, wie nah der Medicus nun doch an den Rand seiner Gelassenheit gedrängt war. »Aber bitte, wenn Ihr Euch dieser schmerzhaften Tortur unterziehen wollt.«
»Gott bewahre!« Bei dem Gedanken allein verzog der Ritter wieder qualvoll das Gesicht.
»Ein Hirudo schwillt bei seiner Mahlzeit bis zum dreifachen Umfang an.« Der Arzt blickte auf seine Schützlinge, wollte sie verteidigen: »Und diese Mahlzeit dauert

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