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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Creglingen. »Ich verlange auch im Namen unseres Bürgermeisters, unverzüglich einen Blick auf die Figuren werfen zu können.«
Kein Sträuben mehr. Til hatte nur noch das Bedürfnis, diesen frommen Quälgeist wieder loszuwerden. Seine Helfer mussten den Abbau unterbrechen, und er selbst öffnete nacheinander die Seitenflügel, nicht ganz, doch weit genug, um auch die Reliefbilder zu zeigen.
Der Pfarrer bewegte sich nicht. »Zu dunkel. Warum hängt der Stoff dort oben?«
»Weil ich es so angeordnet …« Nicht weiter; Til bat seinen Altgesellen, mit Rupert das Leinentuch von der Rosette der Westwand abzunehmen. Jetzt erst zog der Pfarrer den Bürgermeister näher zum Altar.
Schweigen. Langsam nahmen beide Männer ihre Kopfbedeckung ab. Vor ihnen im Halbdunkel drängten sich rechts und links die Apostel. Maria war ihrer Mitte schon enthoben. Ein wenig Helligkeit fiel noch durch die Kapellenfester in der Rückwand und verlieh dem Geschehen geheimnisvolle Stille.
Nach geraumer Weile erst lösten sich die Herren. Ein friedvoller Schimmer lag auf den Gesichtern. Der Bürgermeister drehte das Barett in den Händen, und der Pfarrer sah zu Til auf. »Danke.« Die Stimme hatte jeden Vorwurf verloren. »Ich werde morgen alle Kerzen aus meiner Pfarrkirche mitbringen. Das verspreche ich. Leuchten sollen sie zu Ehren der Himmelfahrt unserer Maria.«
Spät am Abend, Chor und Kirchenschiff waren ausgefegt, Gerüstholz, Kisten und Werkzeug endlich im Frachtwagen verstaut, sanken die Männer völlig erschöpft, aber zufrieden in der Sakristei auf die Strohmatten.
Til drehte den Docht der Öllampe kleiner und zog die Decke bis zum Kinn. »Hab Dank, o Herr, für deine Hilfe«, betete er tonlos. Keine Figur hatte Schaden genommen, nicht eine Ranke war aus dem Gesprenge gebrochen. »Du hast mir und meinen Männern die Hand geführt.« Tief seufzte er. »Ich will nicht unbescheiden sein, doch steh mir auch morgen zur Seite und kröne meine Arbeit.«
Er schloss die Augen, versuchte zu schlafen, zu wach aber lebten die Bilder der vergangenen Tage noch in ihm. Auch sein Altgeselle wälzte sich hin und her. Nur Rupert schnarchte schon tief und gleichmäßig.
Irgendwann fragte Tobias mit gedämpfter Stimme in die Dunkelheit. »Meister? Habt Ihr schon mal einen Fehler gemacht?«
»Kein Mensch ist frei davon.«
»Das weiß ich. Ich mein, so bei der Arbeit?«
»Warum fragst du?«
»Also nehmen wir den Altar da draußen. Jede Figur hat genau in den Schrein gepasst. Jeder Engel. Selbst die beiden großen Säulen, die mit der Maria hochschweben. Diese Genauigkeit, die sichere Hand. War das immer so bei Euch? Auch schon am Anfang?«
»Mir ist es nicht besser ergangen als dir.« Das Schmunzeln lockte die Erinnerung. »Vielleicht sogar schlechter. Weißt du, ich hatte nicht das Glück, bei einem Meister mit eigener Werkstatt als Lehrbub anzufangen.«
Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Gelernt habe ich das Steinhauen in einer Dombauhütte. Da gab es schon Ohrfeigen, wenn ich morgens nicht höflich jeden Gesellen gegrüßt habe. Und später? Als ich dann selbst losgesprochen war und weiterzog?« Sein Blick fand zwei Sterne im Dunkel des schmalen Sakristeifensters. »Fehler? Ja, ich erinnere mich an Ulm. Ich hatte meine erste eigene Figur, den Petrus. Fast fertig gehauen hatte ich ihn. Und da wollt ich mit dem Eisen noch mal an die Augenhöhle, setze falsch an und schlag dem Apostel die Nase ab.«
»Einen Bernhard? Wirklich? Ihr habt einen Bernhard geschlagen?«
»So ist es, Junge. Ich hab einen Stein verhauen. Und was für einen. Die Strafe war hart.« Erst hatten die Kollegen den toten Bernhard auf eine Bahre gelegt unter Absingen schauerlicher Trauerlieder zum Beinhaus, zur Bruchhalde hinter der Domhütte getragen. »Und danach musste ich bezahlen.«
»Das ist bei uns in der Werkstatt auch so: Ihr musstet die anderen Steinmetze zum Saufen einladen.«
»Ich sagte ja, ihr habt es besser bei mir als in einer Domhütte.« Er dehnte die Pause, ehe er fortfuhr: »Meine Kollegen wollten nicht nur meinen letzten Lohn vertrinken. Sie wollten ihren Spaß. Und deshalb setzten sie mich auf einige Richtscheite und trugen mich dem toten Bernhard hinterher. Zu viert waren sie. Dann stolperte einer mit Absicht, und ich stürzte zu Boden. Sofort schlugen sie einige Male mit den Scheiten auf mich ein. Doch immer noch kein Erbarmen …« Sie hatten ihn wieder auf die harte Sänfte gehoben und waren an dem Spalier der Kollegen entlanggezogen. »Langsam,

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