Riemenschneider
gewöhnlich eine halbe Stunde. Und so weit ist es noch nicht, Herr. Erst wenn ein Egel ganz gesättigt ist, fällt er ab. Und nur drei habe ich angesetzt, nicht mehr. Gerne werde ich Euch nachher zum Beweis jeden Hirudo zeigen.«
Sofort wandte sich der Ritter ab. »Wag es nicht! Sonst werde ich …« Da ihm keine angemessene Strafe einfiel, ballte er nur die Faust.
17
H och oben auf der langen Leiter stand Tilman Riemenschneider links neben dem runden Fensterauge der Westwand und befestigte mit einem Nagel die Ecke eines groben Leintuchs an der Mauer. Von unten blickten ihm Rupert und sein Altgeselle Tobias verständnislos zu. »Haltet die Leiter!« Ohne Schwingungen zu verursachen, stieg der große Mann rasch geschmeidig hinab. »Jetzt die andere Seite.« Den Hammer im Gürtel, in der Hand das Ende des langen Seils, das oben an den rechten Tuchzipfel geknotet war, stieg er die Sprossen erneut hinauf, schlug einen zweiten Nagel ein und spannte den Stoff. Die Rosette aus bleigefassten Glasscheiben war verhüllt. Fest schloss Til die Lider. »Großer Gott«, flehte er stumm, »sei barmherzig, begleite unsere Arbeit auch weiter. Lass uns den Altar in diesem Kirchlein ohne Holzbruch aufbauen und, und darum bitte ich dich vor allem, kröne am Ende mein Werk mit deinem Licht.«
»Meister?«, rief Tobias von unten. »Ist Euch nicht wohl?«
»Kein Grund zur Sorge.«
Kaum hatte Til wieder den sicheren Boden des Kirchenschiffs erreicht, hob er den Finger. »Dass mir keiner von euch das Tuch wegnimmt. Es bleibt so lange dort oben, bis ich es selbst abnehme. Habt ihr mich verstanden?«
»Wenn ich ehrlich sein soll …« Rupert rieb die Narbe an seinem Hals. »Ich mein, sehr hell haben wir’s hier nicht gerade; ich mein, so beim Dübeln. Aber wenn Ihr es so wollt …«
»Herr, sagt uns doch«, unterbrach Tobias, »warum muss ausgerechnet vor dieser Rosette ein Fetzen hängen? Und warum jetzt? Wir sind schon bald eine Woche hier. Wenn’s so wichtig ist, hättet Ihr schon früher …«
»Fragt nicht weiter. Gehorcht!« Selbst über den schroffen Ton erschrocken, lenkte Til gleich wieder ein: »Das Tuch hat seinen Sinn. Nur möchte ich jetzt nicht darüber sprechen.« Er deutete zur Mitte des Kirchenschiffs. In den vergangenen Tagen war der Altar ein gutes Stück hochgewachsen. Im schmaleren Sockelkasten hatten sie schon die drei Reliefs angebracht und darüber ragte der durch Zapfen und Zinken fest verbundene große Mittelschrein. Das Licht vom Chorraum der Wallfahrtskirche schimmerte durch die ausgeschnittenen, schlankhohen Fenster in der Rückwand und verwandelte den Kasten aus dunklem Föhrenholz in einen Kapellenraum. »Heute bringen wir Maria und ihre Engel an. Die beiden Apostelgruppen setzen wir morgen dazu.«
Zehn Tage hatten die Stadtväter von Creglingen dem Meister zugestanden, zehn Tage, um den bestellten Flügelaltar aufzubauen. So lange blieb die Herrgottskirche für die Gläubigen geschlossen, und er durfte mit seinen Helfern im Gotteshaus arbeiten und schlafen.
Die Mahlzeiten wurden ihnen morgens, gegen Mittag und vor Sonnenuntergang von der Haushälterin des Pfarrers gebracht. Eine neugierige Person, mit stets roten Flecken auf den Wangen, und obwohl der Meister sie gebeten hatte, Tiegel und Näpfe draußen auf dem Tisch abzustellen, gelang es ihr jedes Mal unter irgendeinem Vorwand doch hineinzukommen.
»Sind Löffel genug da?« Unvermittelt stand sie heute hinter den Männern. »Oder soll ich drei von unsern dalassen?« Sie dehnte die Pause, bis ihre Augen sich gesättigt hatten, dann sprach sie weiter. »Die brauchen wir aber wieder zurück, die Löffel. So viele haben wir nämlich nicht.«
»Wer hat dir erlaubt …?« Til baute sich zur vollen Größe vor ihr auf, wagte aber nicht, strenger zu werden, weil sie es war, die täglich den Futtertrog für ihn und seine Helfer füllte. »Du darfst nicht einfach hereinplatzen. Stell dir vor, wir arbeiten gerade oben am Altar. Da kann vor Schreck leicht ein Engel fallen und am Boden zerbrechen.«
»Bei der Heiligen Jungfrau, nur nicht.« Eifrig nickte sie. »Beim nächsten Mal rufe ich draußen, bevor ich reinkomme. Genügt das, oder fällt dann auch ein Engel?«
Til hob die Brauen, wusste, dass er ihrer Neugierde ausgeliefert war, und sagte: »Rufen? Sicher, das ist eine gute Lösung.«
Sie nahm das Lob als Auftakt zum Geplauder. »Ach, Meister, was ich fragen wollte.« Eifrig trat sie einen Schritt näher. »Wird es denn gelingen? Also mein Pfarrherr meint, nur
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