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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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vielleicht oder eher nicht, aber der sieht immer gerne schwarz. Ich bin da ganz anders. Ich sag mir, das ist ein berühmter Bildschnitzer, und dem gelingt es. Oder?«
»Sag mir erst, was soll gelingen?«
»Na, der Altar. Ist er zu ihrem Fest fertig aufgebaut? Heut haben wir Freitag und Mariä Himmelfahrt ist nächsten Dienstag.«
Til hob die Augen, sein Blick streifte das Tuch vor der Fensterrosette und suchte den höchsten Punkt im gewölbten Himmel der Kirche. »Es muss, nein, es wird gelingen.«
»Sag ich doch. So soll’s sein.« Sie war schon auf dem Weg hinaus. »Und heute Abend gibt’s Schinken und Wurst extra, damit ihr Männer mir auch wirklich satt werdet.«
Tobias wollte die gute Stimmung nutzen und eilte ihr nach. »Eine Extrakanne Bier wäre auch schön.« Er blieb im weit geöffneten Portal stehen. »Beim Arbeiten mit Holz dörrt die Kehle so aus.«
Die Haushälterin hatte Karren und Esel vor der Friedhofsmauer zurückgelassen. Während sie sich auf die Ladefläche setzte und die Zügel nahm, rief sie lachend über die Gräber: »Versprochen. Ich werd meinem Pfarrer die Ration kürzen. Er trinkt mir in letzter Zeit ohnehin zu viel.«
Sie schnalzte, ruckte am Zaumzeug, und endlich trottete der Esel los. Das Pfarrhaus in Creglingen war eine halbe Wegstunde von der kleinen Kirche am Wiesenhang über dem Herrgottsbach entfernt. Zwar hatte der Hirte den berühmten Schnitzer für die Zeit des Aufbaus zu sich unten in die Stadt eingeladen, ihm Schlafplatz, Kost und Gesellschaft angeboten, der Meister aber hatte dankend abgelehnt. Er zog es vor, mit den Helfern in der Sakristei zu nächtigen, außerdem wollte er seinen Figuren nahe sein, wollte Maria, die Engel und Apostel nicht in der Fremde alleinlassen, ehe sie nicht ihr neues Zuhause bewohnten.
Gleich nach der Ankunft hatten Tobias und Rupert die großen, zugenagelten Holzkisten vom Frachtwagen abgeladen und im Chorraum gestapelt, dann trugen sie zugeschnittene und in Tücher gewickelte Bretter und Balken herein. Vom Meister selbst waren Werkzeug, Stricke und Zeichnungen überprüft und griffbereit hingelegt worden.
Til strich mit der Hand einige Male über eine der Kisten, dann bat er leise: »Bringt sie mir vor den Altar.«
Er ließ die Helfer nicht aus den Augen. Beide setzten flache Stemmeisen unter den Deckel, lockerten ihn und zogen die Nägel heraus.
»Genug«, hielt Til sie zurück. Er ließ sich auf die Knie nieder, sorgsam legte er die Bedeckung zur Seite. Bis zum Rand war die Kiste mit Hobelspänen gefüllt. Er schöpfte die Holzlocken heraus, bis Fingerspitzen, dann Hände zu sehen waren; betende Hände, die sich nicht berührten und doch zueinandergehörten, als bewahrten sie zwischen sich den Hauch des Lebens. Til grub seinen Arm tiefer in die Späne und hob Maria ganz aus ihrem Reisebett. Er nickte dem Altgesellen zu. »Du dübelst zunächst den unteren Haltesteg in die Rückwand. Ich habe die Höhe genau markiert.«
Sanft legte er Maria auf den steinernen Altartisch, und gemeinsam mit Rupert blies und bürstete er Staub und Holzreste aus dem Haar, vom Antlitz, aus den Gewandfalten. Der untersetzte Knecht wagte die mit sanftem Rot belegten Lippen und die dunklen Pupillen nicht zu berühren. Dem Meister fiel es auf, eine Weile schmunzelte er nur vor sich hin, dann aber wollte er nicht schweigen: »Glaubst du, dass sie lebt?«
Rupert runzelte die Stirn, dabei säuberte er seine Bürste von Spänen. »So von innen … ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll. Damals, als ich den Stamm vom Hafen geholt habe, da schlief sie noch im Holz. Das habt Ihr gesagt, damals. Und jetzt … Ich denke, aufgeweckt habt Ihr sie, Meister, richtig schön aufgeweckt, weil sie so warm und friedlich dreinguckt. Meine Frau hat manchmal auch so …« Rupert schwieg, beinah heftig staubte er den Rücken der Figur ab.
»Das wünsche ich mir.« Til seufzte leicht. »Ja, anrühren. Wenn meine Maria in jedem, der sie betrachtet, etwas anrührt, dann wäre ich schon zufrieden.«
»Meister?«, rief Tobias hinter dem Schrein. »Sollen wir nicht besser einen dritten Splint setzen, damit könnten wir den Halt verstärken?« Sein Gesicht tauchte an einem der mittleren und höher in die Rückwand geschnittenen Kapellenfenster auf. »Wird die Madonna nur von unten gehalten, oder kommt eine Stange auch in den Kopf?«
Rupert sah erschreckt über die Schulter. Meister Til ließ ihn mit Maria allein und stellte sich vor den noch leeren Kastenaufbau. »Der Hinterkopf ist von der Seite

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