Riemenschneider
werden, wenn wir noch länger hier rumstehen.«
Verblüfft hob Til die Brauen, Tobias öffnete den Mund, sagte nichts, dann trafen sich beider Blicke zu einem Lächeln. Der Alt geselle nickte: »Und es liegt an den Scharnieren …«
»Ganz meiner Meinung. Wir sollten schleunigst herausfinden, welches von den dreien zu hoch sitzt.« Der Meister kehrte ins Kirchenschiff zurück. Nach wenigen Schritten deutete er auf das Gerüst, die Stangen ragten hinter dem Mittelschrein auf. »Wir müssen weiter hoch.« Die Anweisung galt Rupert. »Das oberste Querbrett brauchen wir für den Schmerzensmann und den Baldachin. Am besten, du befestigst die Hölzer direkt an der Runddecke. Das bringt mehr Sicherheit.«
Bald nach Sonnenaufgang erreichte die Haushälterin des Creglinger Pfarrers mit ihrem Eselskarren die Herrgottskirche. Noch während sie das Tier anband, trällerte sie: »Guten Morgen!« Auf dem Weg über den Friedhof frohlockte sie immer wieder mit diesem freudigen Gruß, und vor dem offenen Portal begann sie ihn mit der Botschaft zu ergänzen: »Ich bringe den Morgenbrei. Dieses Mal habe ich eine Handvoll von unsern kandierten Kirschen …« Sie hatte den Innenraum betreten, und sogleich versickerte ihr die Stimme. » … die habe ich mitgekocht.« Mehr wagte sie nicht zu sagen. Die Flecken auf den Wangen begannen zu glühen, sie hielt den Atem an, als fürchtete sie, jeder Laut könnte ein Unglück verursachen. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte sie neben dem geschlossenen Hauptschrein das Hinaufschweben von geschnitzten Rosenranken zwischen zierlichen Säulen, über denen, schon der Erde enthoben, Maria von Gottvater und seinem Sohn gekrönt wurde.
Am oberen Abschluss des großen Kastens standen rechts und links der Meister und Rupert auf dem Gerüst, beide hatten sich Haltestricke zur Sicherheit des zerbrechlichen Schnitzwerkes umgebunden und führten es mit den Händen. Vom obersten Gerüststeg zog Tobias Figuren und Gesprenge weiter zu sich herauf. Als der leidende Christus seine Augenhöhe erreicht hatte, berührte die Spitze des Baldachins beinah den gewölbten Holzhimmel der Kirche. »Höher geht es nicht.«
»Reicht schon«, beruhigte Til leise. »Wir schwenken jetzt etwas nach vorn. Wenn ich es sage, lässt du den Strick vorsichtig ab.«
Nur ein sanftes Geräusch. Der Aufsatz hatte seinen Platz über dem Hauptschrein eingenommen.
»Kein Engel ist gefallen.« Erleichtert blies die Haushälterin den Atem und bekreuzigte sich. »Dank sei dir, Heilige Mutter.«
Der Meister entdeckte sie am Portal und rief ihr zu. »Sobald wir alle Zapfen verkeilt haben, kommen wir runter.«
»Der Brei ist noch warm.« Im Anblick des so zarten, hinaufragenden Schnitzwerkes, mochte sie ihre Kochkunst kaum noch anpreisen. »Kandierte Kirschen, die sind auch drin.«
»Zuckerkirschen?« Genüsslich schnalzte Rupert mit der Zunge. »Dafür lass ich sofort den Hammer fallen.«
»Nein!« Schuldbewusst griff sie sich ans Herz. »Nur nicht. Ich will nicht stören …« Rückwärts tappte sie bis zum Portal, wollte über den Friedhof davoneilen, als sie gleich wieder umkehrte. »Verzeiht, Meister.« Auf Zehenspitzen stand sie im Eingang. »Mein Pfarrherr fragt, wann er heute den Altar besichtigen darf?«
»Gar nicht«, entfuhr es Til; die Frage bedrängte, erschreckte ihn. »Morgen zur Messe.«
»Aber das geht nicht.« Tapfer schluckte die Haushälterin. »Wir müssen doch wissen, ob er fertig ist, weil sonst die Messe hier ausfällt und wir drüben in der Pfarrkirche läuten.«
Ohne sie zu beachten, trieb der Meister einen Keil in den Boden des Aufsatzes, danach kratzte er sich mit dem Hammerstiel durchs Haar, sah lange auf das Leinentuch vor der Rosette, und endlich gab er Antwort: »Einverstanden. Nach Sonnuntergang kann der Pfarrer kommen. Aber nur, um sich zu überzeugen, dass wir fertig sind. Der Altar bleibt zugeklappt, den darf er erst morgen sehen.« Jetzt deutete Til warnend mit dem hölzernen Hammerkopf in ihre Richtung. »Und vergiss nicht: Ich sagte nach Sonnenuntergang.«
Seine Hochwürden hielt sich nicht daran, ein Bildschnitzer hatte ihm keine Befehle zu erteilen, schon gar nicht einer, der seine Gastfreundschaft ausgeschlagen hatte; auch ritt der fromme Hirte nicht allein von Creglingen zur Herrgottskirche hinüber, sondern in Begleitung des Bürgermeisters. Glutrot hing der mächtige Sonnenball jenseits des Tals über der Anhöhe, als sie ihre Pferde anbanden und miteinander plaudernd die Stufen zum Friedhof
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