Riemenschneider
hinaufstiegen. Zur gleichen Zeit schloss Meister Tilman Riemenschneider das Eichenportal und baute sich davor auf. Rupert hatte die vorzeitige Ankunft der Herren rechtzeitig bemerkt, und so erwartete sie jetzt ein riesenhafter Cherubin mit flammender Haarmähne. »Gott zum Gruße!«
»Meister, wir sind in Eile.« Das hagere Gesicht des Geistlichen passte nicht so recht zum gut gefüllten Leib. »Auch wollen wir dich nicht von der Arbeit abhalten …« Er wedelte mit der Hand, um das Hindernis vom Eingang zu vertreiben, doch Til wich nicht beiseite. »Ich bedauere. Aber die werten Herren sind zu früh. Sobald die Sonne untergegangen ist, dürft Ihr Euch kurz überzeugen.«
»Sonderbar.« Das Misstrauen war erwacht. »Ihr verheimlicht doch etwas vor uns?« Kurz neigte sich der Pfarrer zum Bürgermeister. »Ich habe es geahnt, deshalb bat ich Euch mitzukommen. Als Zeuge.« An den Bildschnitzer gewandt, wurde der Ton schärfer. »Ich bin Hausherr dieser Kapelle und verlange, sofort hineingelassen zu werden.«
Til verengte die Brauen, er schluckte, um den Zorn niederzuhalten. »Habt Geduld. Noch eine kleine Weile. Ich bitte darum.«
Nun mischte sich auch Creglingens oberster Stadtvater ein. »Euer Verhalten ist in der Tat ungewöhnlich. Schließlich bezahlen wir Euch. Für 150 Gulden, denke ich, haben wir das Recht, uns jederzeit über den Fortgang der Arbeit zu informieren.«
Voller Unruhe sah Til nach Westen. Die Sonne berührte bereits die dunkle Linie am Horizont. Gleich darf ich nachgeben, rechnete er und wollte versuchen, den drohenden Streit bis dahin zu verhindern. »Informieren? Sicher, dazu seid Ihr befugt. Doch bitte, gewährt mir heute eine Ausnahme.«
Der Pfarrer verzog das Gesicht. »Etwas scheint faul zu sein.« Und auch den Bürgermeister beschlich ein ungutes Gefühl. »Sagt nur eins, dann warten wir gerne ab: Ist Euch der Altar so gelungen, wie wir es im Vertrag niedergeschrieben haben?«
»Mehr als das.« Til schloss die Lider, sein leiser Seufzer galt dem Himmel, dann öffnete er die Augen und setzte hinzu: »Seid versichert, Ihr erhaltet mehr von mir als vereinbart.«
Ein Auflachen vor der Friedhofsmauer. Die Haushälterin stand auf der Ladefläche ihres Karrens und blickte zum Portal. »Das hab ich Euch gewünscht, Hochwürden. Warten müsst Ihr.« Der Kopf verschwand, und zwischen keckerndem Lachen sprach sie in einem Fluss weiter. »Warum hört Ihr auch nicht auf mich? Ich hab Euch gesagt, der Meister hat gesagt, dass die Besichtigung nach Sonnen untergang sein soll.« Sie erschien mit Suppentiegel und Brotkorb am eisernen Gatter und trug das Essen zum Tisch hinüber. »Bleibt ganz ruhig, Hochwürden, der Altar wird fertig, das hab ich auch gesagt. Und es stimmt doch, Meister?«
Til nickte und lächelte seiner Retterin dankbar zu.
Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Und so schön ist er geworden, dass unser Herrgott selbst morgen zur Messe kommen und ihn sich anschauen müsste.«
Ungehalten wollte ihr der Pfarrer das Wort verbieten, doch sie ließ sich nicht aufhalten. »Ja, der Herrgott. Damals hat er für uns die Heilige Hostie hier in den Acker gelegt, damit der Bauer sie beim Pflügen findet. Und als Dank haben die Leute von früher über der Stelle unsere Kirche gebaut. Aber jetzt, ich mein, morgen, da könnte der Herrgott sehen, wie dankbar wir wirklich sind. Und freuen würde er sich, das könnt Ihr mir glauben.«
Schon während sie sprach, hatte sich die Miene des Bürgermeisters aufgehellt. »So viel Begeisterung?« Er wies über den Wald. Der westliche Himmel glühte zwar noch, die Sonne aber war vollständig eingetaucht. »Mal sehen, ob uns der Altar auch so anstecken kann.«
Bereitwillig öffnete Meister Til. Gleich drängte der Pastor an ihm vorbei, nach wenigen Schritten schon blieb er stehen. »Nichts zu erkennen!« Er wartete, bis sein Zeuge ihn erreicht hatte, dann fuhr er den Bildschnitzer an: »Wieso ist der Altar zugeklappt?«
»Zum Schutz.« Til hatte seine Ruhe wiedergefunden, geduldig antwortete er: »Seht doch hin, Hochwürden. Meine Männer schlagen gerade das Gerüst ab. Wie leicht könnte ihnen ein Balken aus den Händen rutschen und einen der Apostel treffen, den Philippus, den Jakobus oder vielleicht sogar die heilige Maria selbst. Deshalb sind die Flügel geschlossen. Und außerdem wäre es mir lieb, wenn nicht zu viele Augen den Altar schon vor der Messe morgen betrachten.«
»Davon sind wir doch sicher ausgenommen«, empörte sich der Hirte von
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