Riemenschneider
der alten … göttlichen … Gerechtigkeit!«
Das »Ja! Ja!« gerät zum rauen Aufschrei.
Joß Fritz springt vom Baumstumpf. Kurz nach Sonnenuntergang hat das Geheimtreffen auf der Lichtung begonnen, jetzt in der späten Dämmerung zeichnen sich rundum die Bäume schwarz gegen den noch hellen Himmel ab. Ein Wink für den Unterführer Kilian Meiger, und der befragt jeden Bauern einzeln: »Willst du zu uns kommen?«
Während die neu gewonnenen Mitglieder absolutes Stillschweigen geloben, nimmt Joß seinen engsten Vertrauten Hieronymus beiseite. »Ich habe gute Nachrichten von meinen Gewährsleuten aus der Schweiz. In Solothurn, Bern und auch Luzern, dort sind die Bauern aufgestanden. Sie haben für ihre Forderungen gekämpft und … und sie haben gewonnen.« Er bückt sich nach einem Stock, fasst ihn wie ein Schwert und schnelle Hiebe zerschneiden die Luft. »Die Chance ist da. Wir müssen sie nutzen. Wenn wir jetzt losschlagen, und da bin ich mir ganz sicher, werden die Schweizer uns zu Hilfe kommen. Ein Bruder unterstützt den anderen.« Weit wirbelt er den Stock davon. »Und sobald wir gesiegt haben, wird unser Land erneuert. In ein Paradies, mein Freund. So eines, wie es sich die Eidgenossen geschaffen haben.«
Der Bäckergeselle reibt sich heftig das Ohr. »Schön wär’s. Achtzehn Unterführer sind wir …«
»Und die bringen gut zweihundert Bauern auf die Beine. Nein, sorg dich nicht. Wir sind gut vorbereitet. Dieses Mal wird unser Bundschuh jeden Gegner zertreten. Allerdings …« Mit kurzem Blick über die Schulter zieht Joß den Gefährten einige Schritte in die Walddunkelheit hinein. »Die Fahne fehlt. Ohne Banner gewinnen wir nichts; mit ihm voran aber werden Verzagte zu Löwen, da werden Zwerge zu Riesen. Verstehst du? Unser Bundschuh braucht eine Fahne, und die richtigen Bilder müssen draufgemalt sein. Damit auch der einfachste Mann weiß, wofür er kämpft.«
»Viel zu teuer. Seide kostet.« Hieronymus winkt ab. »Und dann auch noch bemalen …«
»Wer ist der Kopf?« Leise lachend zieht Joß den Freund nah an sich heran. »Damals in Untergrombach wollten wir auch eine Fahne. Den Stoff hatten wir schon gekauft … Du darfst fühlen, nicht sehen.« Er nimmt die Hand des Bäckergesellen und führt sie in den Rock an seine Brust. »Da trag ich die Seide. Mehr als zehn Jahre halt ich sie auf dem Herzen warm.« Joß zieht die Hand des Freundes wieder heraus und hält sie fest. »Spürst du’s?« Seine Stimme flüstert, drängt: »Gerade hast du unser Glück angefasst. Noch rein weiß auf der einen Seite und die andere hellblau mit einem Kreuz … Und ich sorg dafür, dass unser Banner bemalt wird.« Er verstärkt den Druck. »Kein Wort zu den anderen. Wir entrollen sie an dem Tag, an dem wir losbrechen. Und dann wirst du erleben, wie sich die Massen um unsre Fahne scharen. Ja, das wirst du erleben.«
Kühler, goldfunkelnder Wein. Seit Stunden schon herbeigesehnt. Nun hat der Durst ein Ende. In der Dorfschenke von Lehen sitzt der Maler Theodosius wie jeden Abend auf seinem Stammplatz am Fenster zur Straße, beinah feierlich hebt er den Becher, setzt ihn an, und Schluck für Schluck löst sich der Geschmack nach Farbe von der ausgetrockneten Zunge und wird mitsamt dem heißen Augusttag hinuntergespült. Den geleerten Becher noch in der Hand, fordert Theodosius den Wirt auf: »Bring mir gleich noch einen!«
»Warum so bescheiden?« Mit elegantem Schwung setzt sich Joß Fritz neben ihn. »Bestell doch gleich einen ganzen Krug!«
»Dann reicht es nicht mehr fürs Essen.« Der Künstler hebt die Brauen. »Glaubst du, der Rat bezahlt so gut fürs Ausmalen der Kirche? Geizhälse sind das.«
»Sei mein Gast.« Joß nimmt den federgeschmückten Hut vom Kopf. »Ich lade dich ein.«
Erst als die Becher zum zweiten Mal gefüllt vor ihnen stehen, sieht der Maler den großzügigen Spender prüfend an. »Warum? Wir kennen uns kaum. Ich weiß nur, dass du der Feldhüter vom Ritter von Blumeneck bist, diesem … ja, ich sag’s frei raus: diesem Halsabschneider.«
»Recht hast du.« Eifrig nickt Joß. »Und vielleicht hast du auch gehört, dass ich draußen auf den Wiesen oder im Weinberg blind bin? Oder hast du gehört, dass ich schon mal einen von uns beim Diebstahl gestellt habe?« Er wartet die Antwort nicht ab, rückt näher und senkt die Stimme. »Ich weiß, wir passen zusammen. Ich bin hier, weil ich dich um einen Gefallen bitten will. Für einen Knecht, einen, der nicht von hier ist.«
Um den kostenlosen Trunk
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