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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Bäcker aus Südtirol betont: »Der arme Mann in der Welt mag nicht mehr genesen.«
Mit einem Satz federt Joß auf den Holzstoß. »Freunde.« Behutsam entnimmt er seiner Riementasche ein Leinenbündel. »Hierin eingeschlagen ist sie: unsere Fahne. Weil bei uns jeder Maler den Bundschuh fürchtet, bin ich selbst nach Lothringen rüber. Dort in der Stadt Metz hat ein Künstler unser Banner angefertigt. Und ich sage euch, er ist ein wahrer Maler, mit Mut im Herzen.«
Die Unterführer recken die Hälse, wollen sehen, nicht nur hören. Doch Joß öffnet das Bündel nicht. »Noch ruht sie. Aber am Sonntag, dem 9. Oktober, ist Kirchweih drüben in Biengen. Das ist der Tag, Freunde, unser Tag. Dort auf dem Festplatz werden wir uns unter die Leute mischen. Und wenn der Wein fließt und die Stimmung hochsteigt …« Mit beiden Händen hebt er die verborgene Fahne über den Kopf. »Dann werde ich sie entrollen. Dann wird sie im Wind erwachen. Und jeder wird unser Zeichen erkennen … Und vom Festplatz aus werden wir gemeinsam den Sturm übers Land bringen …«
Drüben in Biengen ist die Getreideernte eingefahren. Noch eine Woche bis zur Kirchweih. In der Scheune drischt ein Bauer mit dem Lohnknecht Michel Hanser das Stroh. Die Luft ist erfüllt von Spelzen, und gegen den Husten trinken die beiden Männer schon seit dem Morgen. Weit schwingen sie die an langen Stangen mit Ringen befestigten hölzernen Flegel über die Schulter zurück, lassen sie aus der Kreisbewegung niedersausen, und gleich wieder schwingen sie die Dreschflegel zurück. Sind die Wannen mit Korn gefüllt, wird es in Säcke umgeschüttet. Und erneut fliegen die Flegel. Eine schwere Arbeit. Erst gegen Mittag erlaubt der Bauer eine kurze Pause. »Lohn kann ich dir heut nicht bezahlen. Kannst ja warten bis nach der Kirchweih.«
»Das geht nicht.« Michel Hanser nimmt große Schlucke aus dem Weinkrug. »Ich brauch das Geld vorher. Will zurück nach Schallstadt.«
»Du und zurück nach Hause? Im Stich lassen willst du mich. So einer bist du also.« Verächtlich verzieht der Bauer die Mundwinkel und drischt weiter das Stroh. Auch Michel greift wieder zum Dreschflegel. »Und ich brauch’s doch.«
Erst nach einiger Zeit spottet der Bauer, ohne die Arbeit zu unterbrechen: »Zum Versaufen willst du die Schillinge nicht. Kann mir schon denken, wofür du sie so schnell haben musst.«
»Gar nichts weißt du.«
»Schämen sollst du dich.«
Gereizt durch Hitze und Wein, nimmt der Ton zwischen den beiden an Schärfe zu. »Sag das nicht, Bauer!«
»Glaubst du, ich wüsst nicht, dass du neulich abends auf der Hartmatte beim Treffen warst. Musst wohl diesen verdammten Brüdern deinen Beitrag zahlen.«
Unentwegt fliegen die Dreschflegel, fahren nieder, schwingen hoch und fahren nieder. Nur schlägt der Michel jetzt härter und härter aufs Stroh. »Wir sind nicht verdammt«, keucht er, »die Pfaffen und Fürsten, die sind’s.«
Der Bauer lacht, lacht den Lohnknecht aus. »Und ausgerechnet so einer wie du will die Kuttenkittel aus den Klöstern jagen? Die Ritter vom Ross stoßen?«
»Hör auf …«
»Sie werden dich vierteilen!« Beißender wird der Hohn. »Und die Pfaffen brennen dir ein Kreuz in jedes Viertel Fleisch.«
»Ich warne dich …«
»Und dann werfen sie dich den Hunden zum Fraß vor. Nein, Kerl, du bekommst gar kein Geld von mir. Und wenn du verschwindest, ehe alle Arbeit getan ist, dann … dann weiß ich in Freiburg einen vom Rat, der wird Augen machen, wenn ich ihm von eurem Bundschuh …«
Es knackt, als der Dreschflegel die Schädeldecke zertrümmert. Wortlos stürzt der Bauer ins Stroh; Blut quillt, schnell wird die Lache größer. Michel Hanser steht da, starrt auf den Erschlagenen, spät erst begreift er. »Nein, nein. Das wollt ich nicht.«
Er blickt sich um, niemand ist in der Nähe. Flucht. Er läuft, noch im Hof aber kehrt er wieder um. Der Geldbeutel steckt im Gürtel. Michel reißt ihn an sich, und hastig häufelt er Stroh, viel Stroh, auf den Toten, schließt das Tor, dann erst rennt er davon. Nach Süden, nur fort, weit fort.
Nahe der Schweizer Grenze, in Eimeldingen, wagt er sich spätabends in ein Gasthaus. Er hat einen Plan gefasst, der ihn retten soll, der ihn vielleicht sogar ganz vor Strafe schützen kann. Im Durchgang zur Küche zeigt Michel dem Wirt zwei Schillinge. »Die gehören dir, wenn du schwörst, mich nicht zu verraten.«
Im Anblick der Glitzerstücke lässt es sich leicht ein Ehrenwort geben.
»Ich bin auf der Flucht, hab einen

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