Riemenschneider
totgeschlagen, warum ist jetzt gleich. Aber ich muss dir von einem Ding erzählen, das ist wichtig für dich, ach, was sag ich, wichtig ist es fürs ganze Land.« Michel hält die Schillinge noch außer Reichweite. »Aber nur, wenn du mir sicheres Geleit zum Markgraf Philipp gibst. Dem will ich alles gestehen, den Totschlag und das Ding. Nur sicheres Geleit brauch ich.«
»Wird sich machen lassen.«
Und Michel Hanser zahlt und verrät den Bundschuh. Er verrät den Tag des Losschlagens, alle Pläne, das Losungswort. Er weiß von der Fahne und nennt den Namen des Anführers. Als er geendet hat, gibt ihm der Wirt die Schillinge zurück. »Ich will sie nicht, wer weiß, wie viel Blut dran klebt.«
»Aber ich muss zum Markgrafen …«
»Kerl, was du mir da erzählst, ist wirklich keine kleine Sache.« Der Wirt sieht die Not in den Augen. »Ich mein, schlaf erst mal noch eine Nacht drüber.«
»Verrat mich nicht!«
»Du bist wie glühende Kohle. Glaubst du, ich hab Lust, mich zu verbrennen?«
Schon beim ersten Taggrauen weckt der Wirt seinen gefährlichen Gast. »Und? Willst du immer noch zum Schloss und deine Aussage machen?«
»Was ich gestern Abend gesagt hab, sag ich auch heute.« Michel springt auf. »Und ich will es genau so auch vor meinem gnädigen Herrn sagen.«
Ohne Zögern führt der Wirt den Gast über verschwiegene Pfade durchs Wiesental hinauf zum nahen Schloss Rötteln. Es ist der 4. Oktober im Jahre 1513.
Das Wort Bundschuh allein genügt dem Hofmeister, sofort wird der Knecht vorgelassen, und Markgraf Philipp gibt ihm die Erlaubnis zu sprechen.
Mit bebender Stimme offenbart Michel dem Landesherrn die drohende Verschwörung. Zum Schluss fällt er auf die Knie. »Bitte, Herr, seid gnädig mit mir wegen des Totschlags. Das wollt ich nicht tun. Und hab ich doch jetzt geholfen, so helft mir mit Eurer Gnade.«
Markgraf Philipp lächelt dünn. »Du hast dem Land einen großen Dienst erwiesen. Sei also getrost.«
Am nächsten Tag hetzen Kuriere in Richtung Freiburg. Die dringende Warnung schreckt den Stadtrat auf. Sofort werden auch alle Herrenhäuser der Umgebung benachrichtigt. Ein Bundschuh droht! Die Stadttore werden verstärkt, die Waffenkammern aufgeschlossen und schwerbewaffnete Truppen in Alarmbereitschaft versetzt.
»In Freiburg sind die Stadtwachen verstärkt worden.« Am nächsten Abend hat Joß Fritz eilig seine Unterführer zum Treffen auf die Hartmatte befohlen. Er trägt den breitkrempigen Hut, den weiten dunklen Reisemantel. Pferd und Packpferd stehen bereit »Verrat. Unsere Sache ist verraten. Es bleibt keine Zeit mehr.« Mit gewaltigem Satz springt er noch einmal auf den Holzstoß. »Freunde, bewahrt unsere heilige Sache, schließt sie fest ins Herz ein. Wollt ihr das?«
Die erschütterten Männer können nur die Hand zum Schwur erheben.
»Seid getrost, wir werden uns wieder treffen! Jetzt aber, Freunde, soll jeder für die eigene Rettung sorgen.« Joß Fritz springt vom Stoß, sein Mantel bauscht sich im Wind, keine Antwort mehr auf die notvollen Fragen, er steigt in den Sattel, und wenig später sind Reiter und Pferde zwischen den Bäumen in der Finsternis entschwunden.
Seine Frau Else ist in Lehen zurückgeblieben. Als die Bewaffneten ihr Haus umstellen, die Tür einschlagen, weint sie. Vor dem Richterstuhl schüttelt sie auf alle Fragen den Kopf. »Ich weiß von nichts. Nichts weiß ich. So glaubt mir doch. Nie hab ich gefragt, und nie hat mir Joß von dieser Sache was gesagt …«
Wittenberg
Spät ist es. Mit dem dünnen Geläute, mit dem gemeinsamen Gebet in der Kirche und der Lesung danach im Kapitelsaal hatte es ein kurzes Aufwachen gegeben, dann war erneut Stille in den langen Gängen eingekehrt, und die Mainacht umschloss wieder fest die Mauern des Augustinerklosters.
Nur oben im Turmzimmer ist das Kerzenlicht nicht erloschen. Martin Luther sitzt vor der aufgeschlagenen Bibel. Sein Blick sucht in der Schrift nach Hilfe. Er weiß, nein, er fühlt. »Nein, auch das ist nicht wahr«, flüstert er. »Nur eine Ahnung. Dieser Saulus, der zum Paulus wurde, der Sünder, der zum Nicht-Sünder werden durfte … Falsch, falsch.« Gleich berichtigt sich Martin: »Und doch muss er vor Gott ein Sünder bleiben.«
Ratlosigkeit quält ihn, er nagt an der Unterlippe, die kaum verharschte Stelle reißt erneut auf. »Paulus. In deinen Briefen steht versteckt das Geheimnis, die Lösung … Ich ahne sie. Nur bin ich noch blind …« Martin schmeckt das Blut, es würgt ihn, hastig bekämpft er den Ekel mit
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