Riemenschneider
»Bin alt genug …« Die schwere Zunge mühte sich mit jedem Wort. »Du brauchst mich nicht … nicht ins Bett zu bringen.« Kopf und Körper strebten direkt auf das Lager zu, während Beine und Füße die Richtung nicht gleich fanden. »Ich bin dein Ritter, Mama …« Er legte sich rücklings auf die heugestopfte Zudecke und breitete beide Arme aus. »Erinnerst du dich noch?« Er kicherte in sich hinein. »Wenn ich groß bin … dann heiratet der Ritter … seine Mama. Und bezahlen … bezahlen kann ich die Hochzeit auch … Glaubst du nicht?« Seine Finger suchten am blauen Wams, fanden endlich die Tasche und zogen ein Goldstück heraus. »Reich bin ich genug …«
Magdalena wollte streng sein, ihn rütteln, das hatte sie sich in den langen Stunden des Wartens fest vorgenommen, sie wollte eine Aussprache, ihn zur Vernunft bringen. Doch dieser Anblick quälte ihr Herz, nichts sonst. »Florian? Verstehst du mich?«
»Ich bin nicht taub … mein schönes Burgfräulein.«
»Hör auf damit. Sag mir nur, was ist mit dir und Katharina?«
Er hob die Hand und ließ die Münze auf seine Brust fallen. »Kathi liebt mich. Und irgendwann werde ich sie heiraten … Nein, bald, ganz bald.«
Noch ehe Magdalena die nächste Frage stellte, fürchtete sie die Antwort. »Habt ihr, ich mein, hast du … bitte, sei ehrlich, warst du mit ihr im Bett?«
»Nein, Mama. Nie im Bett …« Wie nach einem zotigem Scherz schlug er sich auf den Schenkel. »Aber im Weinberg, hinter der Scheune oder im Wäldchen oder …«
»Sei still, bitte, sei still!« Magdalena verbarg das Gesicht in den Händen. O Gott, steh uns bei, flehte sie stumm. Jetzt mit dem Sohn zu reden war zwecklos, doch fragen musste sie weiter, seine Trunkenheit nutzen, um mehr zu erfahren, sosehr die Wahrheit auch schmerzte. »Woher hast du so viel Geld?«
»Gewonnen. Ach, Mama …« Er schloss die Hand und küsste jeden Knöchel. »Die Würfel gehorchen mir jetzt schon … genau wie ihm. Und du sollst sehen, irgendwann werde ich sogar besser als er.«
»Wen meinst du?«
»Na, den Hans. Der ist ein guter Freund von mir.« Florian hob den Kopf und sah seine Mutter mit stierem Blick an. »Du kennst doch den Hans Bermeter …? Den meine ich …« Er fiel zurück, ein seliger Seufzer, und Florian war eingeschlafen.
Magdalena erhob sich, angstvoll betrachtete sie ihren Sohn. »Ich weiß zu genau, wer das ist. Du aber, Junge, kennst ihn nicht.« Sie löschte die Kerze. »Und ich hab dich nicht beschützt vor ihm. Weil ich nichts gemerkt habe.«
Draußen auf dem dunklen Gang lehnte sie die Stirn gegen die Wand.
21
D ie Stirn ist gefurcht, doch kein Wehren mehr. Die halb gesenkten Lider und Wangen zeigen, wie Schmerz und Qual sich lösen, wie duldsam er den Tod erwartet. »Genügt mir nicht«, flüsterte Til tonlos und führte das schmale Hohleisen in den geöffneten Mund, setzte es hinter dem Wulst der Unterlippe an. Ein leicht gerollter, nadelfeiner Holzspan fiel heraus, mit ruhiger Geste veränderte er die Position seiner linken Hand, sie lag jetzt auf Mundwinkel und Bartlocken, der Zeige- und Mittelfinger dienten dem Schnitzeisen als Steg, und tiefer grub Til die Linie zwischen Lippe und Zunge.
Um ihn herum herrschte Stille, keiner der Gesellen an den Nachbarbänken wagte, mit dem Freund zu schwatzen oder gar zu lachen, während der Meister dem Antlitz des Gekreuzigten letzten Ausdruck verlieh. Selbst seine drei Söhne schwiegen. Sonst nahmen sie sich, sehr zum Ärger der anderen Lehrbuben, einige Freiheiten heraus, warfen mit Holzstücken, ließen ungestraft das Werkzeug aus der Hand fallen. In dieser Stunde aber nahm auch sie die Anspannung gefangen. Die drei halbwüchsigen Rotschöpfe umstanden den Vater, mit bewunderndem Blick verfolgten sie die großen, schlanken Hände, die so sicher und doch leicht das Messer führten.
Der Mund ist halb geöffnet, so als nähme er den letzten Atemzug. Meister Til blies Holzreste von der Zunge, prüfte mit den Fingerkuppen die Augenhöhlen und strich sanft über die Lider. Für uns hast du alle Last auf dich genommen, dachte er und nickte zuversichtlich: »Ja, es ist vollbracht.«
Langsam richtete er sich vom fest zwischen den Docken eingespannten Christus auf und winkte Jörg und Hans. »Jetzt seid ihr an der Reihe. Du, Hans, steckst die Dornen in die vorbereiteten Löcher, denk dran, die angespitzten Seiten kommen nach außen. Jörg, du schlägst sie fest. Setz aber erst das Rohr auf die Stifte …« Er bemerkte den unsicheren Blick seines
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