Riemenschneider
Ältesten. »Na, kommt näher. Ich zeig es euch noch mal.«
Er drückte einen Dorn ins Flechtwerk auf dem Haupt des Erlösers, stülpte ein kurzes, innen mit Wolle wattiertes Eisenröhrchen darüber; so konnte die Spitze nicht verletzt werden; zwei leicht federnde Hammerschläge auf den oberen Metallrand, und als er mit dem Finger prüfte, saß der Dorn fest in der Krone.
Er überreichte Jörg das Werkzeug. »Keine Hast! Einer wartet auf den anderen. Am besten nickt jeder, sobald er mit seinem Handgriff fertig ist.«
Til nahm Barthel an der Schulter und schob ihn zur linken Seite der Rahmenbank. »Und wenn sie die Stirn gespickt haben, löst du den Haltekeil, wartest bis der Körper zur Seite gedreht ist, dann steckst du ihn wieder fest. Das kannst du doch?«
Vor unterdrücktem Zorn lief der jüngste Sohn rot an. »Ich kann viel mehr, aber ich darf ja nicht.«
Ein väterlicher Griff in die Nackenlocken. »Ich habe dir versprochen, darüber nachzudenken.«
»Aber wann? Ich will nicht schnitzen, und Steinhauen hasse ich.«
Kurz verstärkte sich der Griff. »Mäßige dich, Junge. In unserer Werkstatt darf nicht schlecht über die Bildschnitzerei gesprochen werden. Schon gar nicht …«, er deutete auf den Kruzifixus, » … solange er noch hier ist.«
»Malen könnt ich ihn … Ich hab’s mit Kohle schon versucht, und wenn ich mit Farbe dürfte …«
»Genug jetzt.« Til drehte den Sohn zur Rahmenbank. »Du tust, was ich dir aufgetragen habe, sonst musst du heute wieder unsern Frischlingen zeigen, wie die Werkstatt ausgefegt wird.« Auf dem Weg zum Nachbarwerktisch wandte er noch einmal den Kopf, die Strenge war einem Schmunzeln gewichen. »Sorg dich nicht, Junge, dein Vater hat sogar schon nachgedacht. Und ich glaube …« Sein Augenzwinkern ließ den Satz auch ohne Worte verheißungsvoll weiterschwingen. Ruhig beugte er sich neben dem Gesellen über die Arme des Gekreuzigten. »Nicht mehr an den Adern schleifen. Sie sollen deutlich hervortreten. Weißt du, wenn der Erlöser mit gestreckten Armen am Querbalken hängt, sollen sie Zeichen der furchtbaren inneren Anspannung sein.« Er befühlte die Stoßkanten. »Hier kannst du noch was abnehmen. Sobald die Dornen stecken, verzapfen wir die Arme in den Schultern.«
Klopfen an der Flügeltür, gleich wurde die Pforte aufgedrückt. Ein hochgewachsener Wandergeselle betrat die Werkstatt, sein Bündel trug er am Stab über der Schulter, nach zwei Schritten nahm er den Filzhut ab: »Gott grüß Euch, ehrbarer Steinhauermeister!«
Alle Augen richteten sich auf den Fremden. Weil der nicht wusste, wen er im Raum angesprochen hatte, wartete er, bis Meister Til auf ihn zukam. »Auch soll ich einen schönen Gruß von den ehrbaren Steinhauermeistern und Gesellen von Stuttgart ausrichten. Sie lassen den ehrbaren Meister Riemenschneider im Namen unserer Zunft recht freundlich grüßen.«
Til betrachtete den wettergebräunten kräftigen Burschen. Wenn du so ordentlich arbeitest, wie du höflich bist, dachte er, kann ich dich gut gebrauchen. In gleichem steifen Ton setzte er das Begrüßungsritual fort: »Ich bedanke mich, ehrbarer Steinhauer für den Gruß. Ebenso bedanken sich auch meine ehrbaren Steinhauergesellen. Der Gruß ist mir lieb, Ihr aber, Fremder, seid mir noch viel lieber. Seid mir willkommen und tretet näher!« Er streckte ihm die Hand entgegen, und der Wandergeselle ergriff sie.
Die Blicke trafen sich, gleichzeitig spürte Til, wie zweimal hintereinander der erste Knöchel seines Zeigefingers schnell vom Daumen des Fremden gedrückt wurde, und nach einer Pause direkt wieder, dieses Mal etwas fester und länger. Der geheime Gruß. Nur Eingeweihte wussten davon. An dieser Art der Begrüßung erkannte ein Steinhauer den anderen. Til erwiderte die Handschenke ebenso schnell, und seine Stimme verlor den förmlichen Ton. »Arbeit habe ich für einen fleißigen Gesellen genug.«
»Meister, lasst mich mein Zeichen schlagen.«
Til ging mit dem Fremden hinüber in den Steinsaal, ein Kopfnicken zu Tobias, mit sicherem Blick hatte der Altgeselle verstanden, und wenig später stand der Fremde vor einem Werktisch, vor ihm lag ein kopfgroßer Sandsteinbrocken. Klüpfel und Meißel waren ihm so vertraut wie dem Spielmann Bogen und Fidel, er führte sie zusammen, schnell und sicher der wiederkehrende Dreischlag, und bald waren zwei aufeinanderliegende Werkbänke mit einem Spitzeisen zu lesen. »Dieses Steinzeichen hat mir mein Meister in Speyer bei der Lossprechung verliehen.«
Til
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