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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Schnell vergewissert sie sich mit einem Blick über die Schulter. »Euch meine ich natürlich nicht. Und überhaupt, viel Erfahrung hab ich keine, aber wenn ich mich so umschaue, angefangen bei den Gesellen und Rupert …«
»Ich wollte nicht, dass er uns begleitet.«
»Wer?«
»Dein Mann. Ich bin froh, dass wir allein hier sind.« Seine Stimme klingt nicht so, auch sieht eine fröhliche Miene anders aus.
»Hab ich Euch gekränkt, Herr?«
»Nein.« Sehr schnell, sehr bestimmt. Der Meister deutet in die Pflanzreihe direkt oberhalb der nächsten Terrassenmauer. Eine Hanfschlaufe hatte sich vom Spannseil gelöst, und ohne Halt war der junge Rebstock zur Seite gesunken. »Wir müssen ihm helfen.«
Wenn er »wir« sagt, dann meint der Herr mich. Ohne Zögern verlässt Magdalena die Steinstufen; dieses Mal aber will er selbst arbeiten. »Ich bestehe darauf.«
Verwundert schaut sie zu, wie sich der Sechzigjährige niederkniet, wie die großen, kraftvollen Hände ein neues Loch graben; ihr Blick wird weich, und vom Bauch her fühlt sie Wärme, während seine Finger die Wurzel der jungen Pflanze behutsam einsetzen, mit Erde bedecken und dem Trieb wieder Halt geben.
Til bleibt so auf den Knien, den Kopf geneigt. Alles in ihr drängt, die mit Grau durchwirkten Locken zu berühren. »Nächsten Sonntag ist Ostern«, sagt er so düster, dass sie die Hand erschrocken zurücknimmt.
»Ich weiß, Herr. Ihr … Ihr müsst wieder in der Prozession mitgehen und den Baldachin tragen. Wie … wie jedes Jahr. Ich habe das Festgewand schon zum Lüften rausgehängt. Herr? Was ist Euch?« »Und nach Ostern, da kommt Hedwig Suppan zu uns ins Wolfmannsziechlein.«
»Herr, ich verstehe nicht …« Der Blitz blendet, trocknet den Mund aus. »Nein. Sagt, dass es nicht wahr ist. Bitte!«
»Und sie bringt jemanden mit.«
Wäre ich doch nur taub. Magdalena geht an ihm vorbei, setzt sich auf die Mauer. Mit einem Mal gaffen von unten alle jungen Rebstöcke zu ihr empor. Sie schüttelt den Kopf. Diese vielen zartgrünen Knospen sind nichts als Hohn, eine Vortäuschung des Schönen: Das Unwetter kommt, Regen spült Pflanzen und Erde hinunter, und übrig ist wieder der verwundete Hang. »Wozu all die Mühe?«
Meister Til lässt sich neben ihr nieder. Eine Weile starren beide in den Nachmittag. Die Geste seiner Hand spricht den Satz vorweg: »Es ist nicht zu ändern. Der Hof und die Werkstatt benötigen wieder eine Hausfrau.«
»Die letzte ist nicht mal zwei Jahre im Grab. Niemand in der Stadt würde es Euch verübeln, wenn Ihr noch wartet. Weder die Lukasbruderschaft noch Eure Freunde …« Ihre Stimme erstickt beinah. »Die Monate waren so … so … als gäb es nicht mehr viel zu wünschen, so waren sie für mich. Ach verflucht, Herr, warum jetzt diese Eile?« Fest legt er seine Hand auf die ihre. »Auch ich habe diese Zeit empfunden wie eine neue Freiheit. Und manchmal, wenn ich wach lag, da hab ich es mir gewünscht …«
Weil er nicht weiterspricht, fragt sie: »Was, Herr?«
»Ginge es nur nach mir, dann … eine Ehe mit dir, wäre mein Glück.«
Sie reißt ihre Hand aus seinem Schutz. »Jetzt wird alles nur noch schlimmer für mich. Das dürft Ihr mir nicht sagen.«
»Verzeih.« Er schüttelt langsam den Kopf. »Zum ersten Mal wird jeder von uns beiden gefangen gehalten. Du bist mit Rupert verheiratet. Und ich? Meine Gitterstäbe heißen immer schon Werkstatt, Gesellschaft und Ansehen …« Er scherzt über sich selbst. »Und nun setzt das Rathaus noch einen Extrastab hinzu.«
Still hört Magdalena von der Bürgermeisterwahl, von der neuen Ehre und der Wichtigkeit, die auf den Meister warten; wieder bei Hedwig Suppan angelangt, versichert er: »Die Heirat wird nicht aus Liebe geschehen. Sie soll nur einen notwendigen Zweck erfüllen.«
Magdalena sieht auf die Rebstöcke hinab. »Wann tragen sie ihre ersten Trauben? Was glaubt Ihr, Herr?«
»Hast du mir gar nicht zugehört?«
»Doch, doch. Sehr genau, Herr. Bitte, sagt es mir!«
»Bis das Holz kräftig genug ist … und bei guter Erziehung. Ich denke, die erste richtige Ernte wird wohl noch vier, vielleicht auch fünf Jahre auf sich warten lassen. Warum fragst du?«
»Weil ich traurig bin. Ich mein … diese mageren Stöcke da, die können wenigstens auf ein Ziel hoffen. Ich mein … ich mein, da gibt’s eine Ernte. Ach, was red ich nur für einen Unsinn.« Sie nimmt ihr Taschentuch aus dem Kleidärmel und trocknet die Augen.
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