Riemenschneider
nichts anbieten.« Martin schenkt sich und dem Freund ein. Beide stehen am halb offenen Fenster und blicken hinunter auf die Straße. »Es ist so …« Mit dem Finger schiebt der Stadtschreiber die verrutschte Brille zurück. »Ich will gleich zum Punkt kommen. Also, es scheint sehr wahrscheinlich, dass du bei der nächsten Wahl im November ausersehen bist, das Amt des ersten Bürgermeisters zu bekleiden.«
Til wechselt den Becher in die andere Hand, nimmt ihn wieder zurück, er führt ihn zum Mund, vergisst zu trinken. »Bitte wiederhole, was du gerade gesagt hast. Nein, nicht nötig.« Er stellt das Gefäß auf dem Fenstersims ab. Unten im großen Ratssaal vor Kopf sitzen? Mit der Glocke um Ruhe bitten? Das eitle Bild flackert auf und erlischt im Misstrauen. »Warum ich? Sucht ihr einen politischen Dummkopf?«
»Im Gegenteil.« Keine Schmeichelei, sogar ein wenig Bitterkeit färbt den Ton. »Die Zeiten werden unruhiger, lieber Freund. Über diese Tatsache sollten wir uns nicht hinwegtäuschen. Und gerade deswegen benötigen wir einen Mann, der nicht gleich dem Bischof das Wort redet; wir benötigen einen Mann, dessen Herz zuerst spricht und der es nicht so rasch in sich zum Schweigen bringen kann.«
Nun trinkt Til doch, er leert den Becher in großen Schlucken. »Also soll meine Schwäche mit einem Mal zur Stärke werden?«
Der Stadtschreiber schmunzelt. »Stell dich nicht selbst in Frage.« Und gleich wieder ernst fährt er fort. »Dass ich dich heute schon davon in Kenntnis setze, hat einen triftigen Grund. Zwar sind es bis zum November noch einige Monate, doch solltest du möglichst bald deine Verhältnisse ordnen.«
Überrascht schüttelt Til den Kopf. »Nie ging es mir besser als heute. Das Haus wird gut geführt …«
»Deshalb. Genau aus diesem Grund habe ich dich hier oben in meine Amtsstube entführt.« Martin Cronthal nimmt die Brille ab, so als wollte er nicht sehen, was seine Worte anrichten. »Du musst heiraten. Ansonsten wird die Zukunft gegen dich sein. Ordnung. Du verstehst doch, lieber Freund?«
Til wendet sich ab, geht schweren Schritts durch die Schreibstube und lässt sich vor dem Bücherregal auf einem Hocker nieder. Ein Berg wächst, mit jedem Gedanken wird er höher und wuchtiger. »Meine Verhältnisse ordnen, sagst du? O großer Gott, und gerade diese Unordnung beschert mir endlich ein gutes Leben.«
Martin Cronthal übergeht den Einwand; geschult in vielen Ratssitzungen, will er nach der ersten Hürde ohne jede Aussprache gleich die nächsten nehmen. Dieses Mal bemüht er sich um gewinnende Leichtigkeit in der Stimme: »Weil wir deine Erlaubnis vorausgesetzt haben und weil wir dich in solcher Angelegenheit gut kennen, haben wir schon einiges in die Wege geleitet.«
Ein abgekartetes Spiel? »Wer sind wir?«
»Nun eingeweiht sind Georg Suppan und … du ahnst es sicher schon?«
Die Brust wird zur Höhle. »Hedwig«, seufzt Til, und der Name hallt als dumpfes Echo in ihm weiter. »Seit sie den Stock benötigt …« Er spricht nicht weiter, doch der Freund ergänzt kühn: »Ja, sie gleicht wirklich mehr und mehr einer …« Nun verlässt ihn doch der Mut. » … sagen wir, einer ältlichen Zauberin. Aber sie versteht ihr Handwerk. Nach Ostern wird sie dir eine geeignete Kandidatin vorstellen. Natürlich nur, wenn du einverstanden bist.«
»So schnell?« Der Berg lastet Til auf den Schultern. »Ich bin einverstanden«, murmelt er. »Zuvor aber muss ich …«
Die Wunde ist geschlossen. Keine rohen Felsplacken sind mehr zu sehen, jede Trockenmauer ist sorgfältig geschichtet, und in sanften Schwüngen neigt sich der Hang von einer Terrasse zur nächsten bis hinunter ins Tal. Rupert hat in den vergangenen drei Jahren ein Wunder vollbracht. Leicht und voller Stolz, als wäre es auch ihr Verdienst, steigt Magdalena vor dem Meister her die Steinstufen neben den neu gepflanzten Rebstöcken hinab.
»Er ist einfach zu bescheiden, Herr. Ich hab ihn gefragt, weil heute doch Palmsonntag ist, aber er wollte nicht mitkommen.« Sie ahmt die Stimme ihres Mannes nach: »Wenn der Herr was auszusetzen hat, dann kann er es dir sagen, und du sagst es mir. Das hat Rupert zum Abschied gesagt.« Ein leises, übermütiges Lachen. »Wisst Ihr, Herr, dass die meisten Männer in Wirklichkeit feige sind. Da schaffen sie was Gutes, aber sie trauen sich selbst nicht so richtig, erst wenn andere sie loben, dann plustern sie sich auf.«
»Sehr klug«, bemerkt er trocken. »Wen meinst du damit?«
O nein. Hab ich ihn verärgert?
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