Riemenschneider
Grund an einem Lied gegen das Fürchten. Es ist noch nicht ganz ausgereift, wohl aber stimmt die Melodie schon.« Er beugt sich über die Saiten. Erst summt er nur, dann beginnt er mit leiser Stimme zu singen. »Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen …«
Am nächsten Morgen ist an Abreise nicht zu denken. Draußen auf dem Marktplatz von Möhra haben sich die Bürger versammelt. Sie wollen ihn hören, den berühmten Spross des Lutherbaums, und Martin predigt: »Heute ist Samstag. Was werdet ihr dem Beichtvater im Beichtstuhl sagen? Brüder und Schwestern, seid stark und sagt ihm: Mir steht es an zu beichten, wozu mich mein Gewissen treibt. Euch, Vater, gebührt es nicht, mich zu treiben. Euch gebührt es nicht, nach meinen Heimlichkeiten zu forschen …«
Erst nach dem Mittagsmahl rollt der Wagen aus Möhra und nimmt den Weg in Richtung Schweina. Der Onkel, auch die Tante und einige Cousinen haben es sich nicht nehmen lassen und begleiten den Zweispänner in der eigenen Kutsche. Am späten Nachmittag, das Schloss Altenstein ragt schon vor ihnen über dem Tal auf, verabschieden sich die Verwandten.
Heinz Luther legt dem Neffen die Hand auf die Schulter. »Lebe wohl! Und du hast mein Wort, wenn ich deinen Vater treffe, dann werde ich ihm nichts von …« Er neigt sich vor und senkt die Stimme: » … von dieser Freiheit und dieser Sache in Worms erzählen.«
»Gott sei mit dir, Onkel. Und danke für die herzliche Bewirtung!« Unter dem Planendach reckt sich Martin hinaus, noch ein letztes Winken, und der Wagen nimmt die Kehre unterhalb der Altensteiner Feste. Zügelschlag. Die Pferde traben. »Ein anstrengender Abend.« Amsdorf gähnt ausgiebig, und Bruder Petzensteiner schließt schon die Augen: »Weckt mich erst, wenn wir vor Waltershausen sind.«
Unbemerkt trocknet Martin Luther die Hände an der Kutte; er befeuchtet die Lippen, nestelt am Hüftstrick. Die Anspannung in ihm wächst. Kaum wagt er den Kopf zu bewegen, aus den Augenwinkeln blickt er immer wieder nach rechts zu den Büschen am Wegrand oder linker Hand zum Bachlauf.
Bald führt die Straße den bewaldeten Höhenrücken hinauf. An der Steigung verlangsamt der Fuhrmann die Fahrt und lässt die Pferde im Schritt weiterziehen.
Geheul aus dem Wald, schnell kommt es näher, schon sprengen bewaffnete Reiter vor und hinter dem Wagen auf die Straße. »Lass deine Waffe stecken!«, brüllt einer der Geharnischten den Kutscher an: »Weiter. Folge uns!«
»Ein Überfall«, flüstert Martin. »Gott steh uns bei!«
»Ich wusste es.« Johann Petzensteiner bebt das Kinn. »Diese verfluchten Predigten. Aber ich will nicht dafür büßen …« Mit ungeahnter Schnelligkeit springt er aus dem Wagen, rafft seine Kutte und flieht in den Wald. Keiner der Bewaffneten folgt ihm.
Nikolaus vom Amsdorf findet die Sprache wieder. »Sind es Wegelagerer oder Päpstliche?«
Martin legt seine Hand auf die des Freundes. »Der Überfall gilt mir, das ahne ich. Doch du vertraue auf Gott. Und wenn du mich liebst, so versuche nicht, mich mit der Waffe zu verteidigen, wohl aber bestrafe sie aus Leibeskräften mit Flüchen und Verwünschungen.«
»Du wirkst so gefasst?«
»Der Herr ist mein Hirte …«
Laute Befehle dirigieren den Wagen in einen Hohlweg. Mit vorgehaltener Armbrust befragt der Anführer den Kutscher nach den Namen seiner Fahrgäste. »Doktor Martinus Luther …«
Kaum ausgesprochen, zerren gleich vier Bewaffnete den Mönch vom Sitz und schleifen ihn an den Armen vor ihren Herrn. »Bald, du Satan, wirst du erfahren, wie heiß die Hölle sein kann.« Er spuckt vor Martin aus. »Ketzer! Du wirst brennen. Aber zuvor sollst du auf der Folterbank widerrufen.«
Nikolaus vom Amsdorf wagt zu brüllen, zu schimpfen, doch niemand beachtet ihn.
»Packt den Mönch!« Der Anführer reitet in den Wald voraus.
Ohnmächtig müssen Kutscher und der Freund zusehen, wie Martin an den Händen gebunden, zwischen zwei Pferden herläuft. Weil er zu langsam ist, schlägt ihm einer der Rohlinge die Mütze vom Kopf. Dann sind die Reiter mit ihrem Gefangenen verschwunden.
»Er ist der wertvollste Mensch, den ich kenne«, stammelt Nikolaus vom Amsdorf. »Wir müssen ihn retten.«
Der Fuhrmann schüttelt den Kopf. »Helfen kann da niemand mehr. Steigt ein, Herr. Retten wir wenigstens uns. Bald ist Nacht, und bis Waltershausen ist es noch ein gutes Stück.« Er schnalzt, und der Wagen ruckt an.
Tief im Wald zügelt der Anführer seinen Gaul und steigt aus dem Sattel. »Mein Kompliment,
Weitere Kostenlose Bücher