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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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beeindruckt ihn weniger. »Du hast also wirklich den Kaiser gesehen?«
Doch Martin lässt nicht nach. Leicht trunken vom Wein, will er dem Onkel wenigstens die ersten beiden Zeilen seiner Schrift über die Freiheit des Christenmenschen nahebringen: »Es ist doch ganz einfach zu verstehen: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan …«
»Aber, Junge«, unterbricht Heinz Luther, »lass so etwas deinen Vater nicht hören. Du weißt, wie unleidlich er werden kann, wenn nicht gehorcht wird.«
»So ist es nicht gemeint. Der inwendige Mensch ist frei, in seiner Brust, in seinem Geist, und zwar durch den Glauben. Bitte wink nicht ab, Onkel. Hör den nächsten Satz: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.«
»Stimmt.« Das verknitterte Gesicht des alten Luthers hellt sich auf. »Weißt du, Junge, wenn du dem Vater davon erzählst, dann lass einfach den ersten Satz weg. Dienstbarer Knecht, das gefällt ihm sicher.«
»Aber damit meine ich nur den äußeren Menschen. Er ist durch die Liebe verpflichtet, jedermann zu dienen, auch der Obrigkeit.«
»Durch was auch immer, Junge. Richtig ist es.«
»Aber, Onkel …« Hilfesuchend sieht Martin die Freunde auf der anderen Seite des Tischs an. Sie hören schon lange nicht mehr zu, und nur wenn der Becher zum Mund geführt wird, hebt sich noch ihr Kinn.
»Bitte, Junge. Nun erzähl mir vom Kaiser. Ist er ein schöner Mann?«
»Schmächtig ist er. Darüber konnte sein prächtiger Mantel nicht hinwegtäuschen. Schön …?« Martin sieht in seinen Becher. Im Wein spiegelt sich der große Saal im Palast des Bischofs. Heiß war es, das Gedränge groß. Inmitten der Fürsten und Berater thronte Karl, der fünfte dieses Namens. Johann von der Ecken war zum kaiserlichen Sprecher ernannt worden. Er führte auch am zweiten Tag das Verhör gegen den Ketzer. Scharf wischte er Luthers große Verteidigungsrede beiseite. » … Deine Worte sind unbescheiden, auch hast du nicht zur Sache gesprochen. Auch hast du nicht die gestellte Frage beantwortet …«
Martins Hand zittert, das Bild verwischt, erst nach einer Weile glättet es sich wieder zum Spiegel. Eck deutete mit dem Finger auf ihn. »Erwarte keine Disputation. Antworte ohne Hörner und Mantel, ob du die Irrtümer in deinen Büchern widerrufen willst. Ja oder Nein.«
Der Mönch wagt, den Kopf zu heben, wagt, den jungen Karl anzusehen. »Weil denn Eure Kaiserliche Majestät und Eure Gnaden eine schlechte, einfältige Antwort begehren, so will ich eine Antwort ohne Hörner und Zähne geben …«
»Was ist, Junge?« Der Onkel reibt sich das Ohr. »Mehr hast du nicht vom Kaiser gesehen?«
»Verzeih, ich war in Gedanken.« Einen Lidschlag lang sieht Martin noch den verächtlichen Zug um den Mund des Monarchen. »Nun, Kaiser Karl ist kein Knabe mehr, aber noch längst kein Mann. Und mit Anmut und Schönheit hat unser Schöpfer bei diesem Jüngling wahrhaft gespart, dafür aber gab er ihm einen wuchtigen Nasenzinken und ein vorgerecktes Kinn, das seine hängende Unterlippe auffängt.« Selbst zufrieden mit der bissigen Beschreibung setzt Martin an und trinkt in genüsslichen Schlucken.
»Und was hast du dem Kaiser gesagt?«
Hart setzt der Neffe den Becher ab. Das Geräusch schreckt die Freunde Amsdorf und Petzensteiner hoch.
»Ich sagte ihm: Widerrufen kann ich nichts und will ich nichts; weil wider das Gewissen zu handeln beschwerlich, unheilsam und gefährlich ist. Gott helfe mir. Amen.«
Heinz Luther nickt eine Weile vor sich hin, dann schüttelt er den Kopf. »Willst du mir sagen, dass du den Kaiser verärgert hast?«
Nikolaus von Amsdorf beugt sich über den Tisch. »Nicht nur seine Majestät. Auch einige Fürsten und Bischöfe. Es gab einen Tumult im Saal. ›Ins Feuer mit ihm!‹, haben einige geschrien. Ihr hättet dabei sein sollen.«
»Nein, besser nicht.« Heinz Luther blickt besorgt auf den Neffen. »Hast du dich wirklich so vor den feinen Herren aufgeführt?«
»Ja, Onkel«, bekennt Martin, und Schmunzeln zeigt sich in den Mundwinkeln. »Ich stand da und konnte einfach nicht anders.«
»Ich weiß ja, dass du ein guter Prediger geworden bist, aber von deinem Besuch beim Kaiser werde ich deinem Vater besser nichts erzählen.«
»Predigen?« Das Wort lässt den Ordensbruder erbeben. »Nein, nicht schon wieder. Wir bringen uns nur in Gefahr.«
»Du bist ein Hase«, lacht Martin, nimmt die Laute und zupft ein paar Töne. »Seit einiger Zeit schreibe ich aus gutem

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