Riemenschneider
Scheitel ist glatter. Sieh nur genau hin, guter Freund.«
Der sanfte Spott ließ dem Unterbürgermeister tiefe Röte aus dem Halskragen in die Wangen steigen. Ehe sie das Gesicht überflutete, drehte er sich ab, versteifte den Rücken und sah reglos zum Altar.
» … et aeternam gloriam obtineat in futurum. Per Christum Dominum nostrum.«
Das Amen sprachen die Gläubigen gemeinsam.
Rasch trat der Diakon vor den Chor und summte. Doch nur wenige Knaben nahmen seinen Ton auf, die meisten verrenkten sich die Hälse, staunten hinauf zur Eva, und nicht ihr Gesicht, auch nicht die Schlange an ihrem rechten Bein waren der Grund, warum die Münder offen standen, die Augen leuchteten.
Kurzerhand ohrfeigte der Diakon direkt vor ihm vier der jungen Gaffer und gewann so die Aufmerksamkeit des gesamten Chors zurück. Selbst der Himmel stimmte ins Freudenlied mit ein, denn Sonnenlicht brach durch die Wolken und ließ das nackte Menschenpaar aus weißem Sandstein in seiner reinen Schönheit erstrahlen.
Unten auf der Bank aber stöhnte die Gemahlin des Bildhauers gequält, erneut presste sie die Hand an ihre Herzseite. »Kaum ertrag ich die Stiche noch«, hauchte sie. »Verzeih, Liebster, wenn ich dir den Festtag verderbe, aber du musst mir helfen.«
Til beugte sich zu ihr. »Meine gute Anna. Wirst du noch gehen können?«
Sie nickte tapfer.
»Gott sei Dank. Sobald die Segnungsfeier beendet ist, begleite ich dich nach Hause. Soll der Doktor kommen?«
»Nein, nein. Nur hinlegen möchte ich mich. Ach, Liebster, wie schade.« Sie suchte seine Hand und seufzte. »Auch ich hatte mich so auf den Zug der Stadtmusikanten und nachher auf das Festmahl im Rathaus gefreut. Und nun …«
»Beruhige dich.« Til schloss die Augen, um die Enttäuschung nicht zu zeigen. »Du bist mir wichtiger als jede Ehrung.«
Jakob schrie nicht mehr. Teilnahmslos ließ er sich eine Schlinge um den Hals legen. In der Küche stand süßlicher Geruch nach gesengtem Haar und angebranntem Fleisch. Verkohlte Reste seines Kittelhemds hingen ihm von den Schultern, sonst war er nackt. An großen Stellen auf Brust und Bauch war die Haut nur noch eine schwärzlich blasige Kruste.
Der Anführer nahm das lose Strickende, zupfte nur leicht. »Nun komm, sei ein artiges Bäuerlein. Du darfst zusehen, wie wir aufladen.«
Ohne Sträuben folgte ihm Jakob nach draußen, wehrte sich auch nicht, als er an den Querbalken des Scheunentors gebunden wurde.
»So gefällst du mir.« Der Peiniger patschte dem Geschundenen mit der lederbewehrten Hand auf den Kopf. »Nur schade, dass wir dein Weib nicht angetroffen haben.«
Unruhe kehrte zurück, Jakob hob die Schultern, sein Blick wurde klarer, mit blutig vorgequollenen Lippen mühte er sich jedes Wort ab: »Verfluchte … Teufelsbrut …«
»Aber, aber. Kein böses Wort, sonst schicke ich meine Männer auf die Suche. Jung soll dein Weib sein, erzählt man im Kloster. Und erst im letzten Jahr hast du sie dir genommen. So frisch verheiratet sind die Weiber besonders heiß. Aber jetzt …«
Die Hand schnellte nach unten und packte nach dem angeschwollenen Hodensack. Jakob wand sich, wimmerte.
»Jetzt muss deine junge Stute lange, lange warten, bis du sie wieder bespringen kannst. Aber sorg dich nicht, wir helfen zu gerne überall aus. Wir sorgen dafür, dass unser Abt seinen Zehnten bekommt, und wir besorgen es den hungrigen Weibern, bis sie satt und still sind. Reize mich also nicht weiter, du alter Mann, sonst greifen wir uns deine junge Frau.«
Der Anführer wandte sich ab und befahl seinen Männern, mit dem Aufladen zu beginnen.
Sie führten die Kuh aus dem Stall. Sie zogen die drei Schafe an den Ohren über den Hof zum Wagen. Sie fingen die Hühner ein …
Mit jedem Stück Vieh, das ihm genommen wurde, verlor Jakob ein Stück Leben. Sie schleppten Korb für Korb vorbei, und er musste es mit geweiteten Augen ansehen. So mager war die Ernte gewesen. Nur wenige Vorräte an Bohnen, Hirse, Erbsen und Zwiebeln hatte er für den kommenden Winter lagern können. Und jetzt luden sie seine spärlichen, seine letzten Hoffnungskeime auf den Klosterkarren.
»Das … darf nicht … sein«, brabbelte er. »O Gott, so sind Menschen doch nicht …« Tränen liefen über die Wangen, bissen sich salzig in die offenen Wunden.
Zu fünft hatten die Blutzapfen ihren furchtbaren Spaß mit ihm getrieben, hatten ihn durch Stockhiebe gezwungen, mit entblößtem Unterleib wie ein Schwein auf den Tisch zu kriechen. Unter viehischem Gelächter war ihm eine große Möhre
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