Riemenschneider
trug. Er war es, der zu viele Bestellungen für Kirchen, Klöster und Privatleute annahm, überdies stets zu frühe Abgabetermine versprach.
»Faulheit dulde ich nicht in meiner Werkstatt.« Jetzt, da Adam und Eva das Südportal der Marienkapelle zierten, sollte Tobias endlich seine Muttergottes fertigstellen. Eine Steinmadonna, an der er allein ohne Handanlegen des Meisters arbeitete, und längst schon hätte er liefern müssen. Lediglich das Familienwappen fehlte noch am Sockel. »Aber schau dir vorher genau die Zeichnung an. Die reichen Stifter bemerken eher das Fehlen eines kleinen Sterns auf dem Balken, als dass Maria ihr Kind nicht auf dem Arm trägt. Und die ehrenwerte Familie von Werdenau bildet da keine Ausnahme.«
Den beiden anderen Gesellen trug er auf, die Figur des Johannes Evangelista für den Transport zur Stadtpfarrkirche von Iphofen in Tücher zu wickeln und in eine Holzkiste zu legen. »Und bettet mir den Johannes in ausreichend Holzspäne! Gegen Mittag wird er abgeholt. Danach bringt ihr mir den Block für den Schmerzensmann in die Steinhalle. Sobald ich zurück bin, will ich mit dem Zurichten beginnen. Legt mir Kohlestift und den Entwurf bereit!«
Als er Anna mitteilte, dass er nach den Weinstöcken sehen und sich danach bei einem Ausritt etwas erholen wollte, hatte sie keine Fragen gestellt, hatte ihn sogar ohne Auftrag ziehen lassen. Drei Tage waren seit Sonntag vergangen, und immer noch gab sie sich sanft und verständnisvoll. Anna wusste sehr wohl, wie hart sie den Großmut ihres Mannes geprüft hatte: Der Festakt, die Lobesreden, das köstliche Mahl, auf alles hatte er ihretwegen verzichtet. Doch als später die Stadtmusikanten, angeführt von Bürgermeister Suppan, zur Franziskanergasse gezogen kamen und im Innenhof für den Meister mit Flöten und Trommeln aufspielten, da besserte sich ihr Zustand gleich beim ersten Stück auf wundersame Weise. Anna verließ das noch vor wenigen Stunden schnell mit Kissen bereitete Notlager in der guten Stube, trat vor die Tür und hakte sich bei ihrem Riemenschneider ein. Mit strahlendem Lächeln nahm sie an seiner Seite die fröhliche und hier im Hof überlaut hallende Darbietung entgegen. Äußerlich bewahrte Til zwar Haltung, im ersten Aufwallen des Zorns aber quetschte er ihren Unterarm, bis sie aus gerundeten Augen flehentlich zu ihm aufsah. Da erst lächelte auch er und genoss das Spiel der Stadtmusikanten. Weder über die Enthüllung des Menschenpaares noch über das vorzeitige Heimgehen, kein Wort wurde über den Sonntag zwischen ihnen gewechselt. Frau Anna vermied ungewohnt lange jeden Vorwurf, war liebenswert sogar im Bett vor dem Einschlafen, und diese Art der Entschuldigung war Til vollauf genug.
Am Vortag hatte der Stadtrat ihm den letzten Teilbetrag seines Honorars für Adam und Eva übergeben, und kaum wieder allein, sah er Magdalena nackt vor seinem inneren Auge auf dem Tuch stehen, ihre Haut samtweiß, die geöffnete Hand unter dem Busen, den linken Fuß zum Schritt bereit … »Ein Gulden gehört dir …« Er zögerte und hob die Brauen. »Nein, nur ein halber Gulden, weil du unsere zweite Verabredung nicht eingehalten hast.« Damit war der Entschluss bereits gefasst, heute zu den Gehöften am oberen Bachlauf zu reiten.
Das Pferd schnaubte, nickte unwillig. Vom Bach hatte sich eine Wolke sirrender Mücken gelöst und befiel Reiter und Wallach. Til wedelte mit der Hand, musste seine Kopfbedeckung zu Hilfe nehmen und schließlich dem Pferd die Sporen geben, erst nach der nächsten Biegung zügelte er den Galopp, ließ aber das Tier von nun an traben. »Auf keinen Fall will ich Streit mit Bauer Lebart«, nahm er sich vor.
Bald tauchte weiter vorn das ärmliche Anwesen rechter Hand des Fahrwegs auf. »Vielleicht erlaubt er mir einige Worte mit meiner Eva …« Er stockte und drohte sich selbst: »Wehe, dir unterläuft nachher solch ein Fehler. Sie ist Jakobs Frau. Nur weil sie dein Modell war, hast du noch lange keinen Anspruch auf sie.«
Beim Näherkommen sah er den Eingang zum Wohnhaus weit geöffnet und wunderte sich während des Absteigens über die sonderbare Stille, die Stall, Scheune und Schuppen umgab. Er pochte an den Türrahmen. »Niemand zu Hause?«
»Gott zum Gruß. Endlich.« Eine fremde Frau sprach, eilte herbei und schreckte gleich einen Schritt zurück. »Verzeiht. Ich dachte, unser Herr Pfarrer wäre gekommen. Wer seid Ihr, Herr?« Abwehr wuchs in der Stimme. »Wenn Ihr vom Kloster Ebrach kommt, dann …«
»Nein, beruhige
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