Riemenschneider
dich.« Til sah das verhärmte Gesicht, die dunklen geränderten Augen. »Ich komme von Würzburg. Eigentlich erwartete ich Bauer Lebart und seine Frau hier anzutreffen?«
»Beide …«, sie schluckte heftig, »beide sind in der Stube.« »Dann bestelle ihnen, Meister Riemenschneider sei gekommen und wolle noch etwas Geschäftliches regeln.«
»Schulden?« Sie sprach, als sähe sie in einen endlosen ausgedörrten Graben. »Um die einzutreiben, kommt Ihr zu spät, Herr. Wir haben nichts, gar nichts mehr. Ich bin Els, die Schwester von … von Jakob. Ich mein, die ältere Schwester … und die Schwägerin von Magda. Nein, nichts ist uns geblieben. Aber überzeugt Euch selbst.« Keine Geste lud ihn ein. Sie drehte sich einfach um und ging voraus.
Til folgte ihr durch den engen Windfang in die Küche. Der Boden war gefegt, die Hocker standen unter dem Tisch, Töpfe und Krüge reihten sich geordnet auf den Wandregalen. »Ich hab sauber gemacht für den Herrn Pfarrer«, bemerkte Els, ohne sich umzuwenden, ihr Schritt wurde langsamer, behutsam, beinah sacht betrat sie die angrenzende Stube.
Til blieb im Türrahmen stehen. Das Fenster war mit einem Leintuch verhängt, trübe Dämmerung lastete im Raum, durchzogen vom Geruch der beiden halb niedergebrannten Kerzen. Er sah den offenen Sarg in der Mitte, sah Magdalena. Versunken saß sie auf dem Stuhl. Ohne den Grund der Trauer gleich wissen zu wollen, nahm der Bildschnitzer den Anblick in sich auf, ihren leicht geneigten Kopf, die hochgezogenen, gebeugten Schultern. So wenig an Geste, dachte er bewundernd, ihre Körperhaltung allein zeigt Klage und tiefen Schmerz.
Die Schwägerin berührte Magdalenas Arm. »Besuch ist da.«
Sie hob den Kopf. Nach dem ersten Erschrecken hielt sie sich wie eine Ertrinkende an seinem Blick fest, dann füllten sich ihre Augen. »Immer war er gut zu mir. Nie ein böses Wort. Zu allen war Jakob freundlich …« Verloren zuckte sie die Schultern. »Und heute Abend tragen sie ihn fort.«
Til kehrte zurück, nahm die Wirklichkeit wahr, und insgeheim empfand er Scham, gerade noch an ein Motiv für seine Schnitzarbeit gedacht zu haben.
»Mein Beileid«, sagte er halblaut. »Von Herzen fühle ich mit dir …« Er wollte mehr sagen, wusste aber nicht, wie, schließlich nickte er ungelenk zum Gruß. »In einigen Tagen werde ich wiederkommen.«
»Nein, geht nicht, Herr. Bitte!« Magdalena streckte die Hand nach ihm aus. »Ich, ich will Euch erklären …« Sie verließ ihren Platz und wandte sich an die Schwägerin. »Das ist Meister Tilman Riemenschneider, der Bildschnitzer. Auch Jakob hat ihn gekannt. Ich muss ihm etwas von deinem Bruder und mir sagen. Draußen ist es dem Herrn sicher lieber.«
»Verstehen tu ich nichts.« Els setzte sich zur Totenwache auf den Stuhl. »Geh nur. Aber sei zurück, wenn der Pfarrer und die Männer kommen.«
Vor dem Haus bat Magdalena. »Nicht hier. Darf ich mit Euch zum Bach gehen? Bitte, da haben wir uns damals getroffen.« Und während sie nebeneinander hergingen, setzte sie hinzu: »Die Schwägerin und der Schwager wissen nichts von Eva und mir, vielleicht sag ich es ihnen später.«
»Verzeih die Frage.« Til sah sie von der Seite an. »Der Tod deines Mannes. War es ein Unglück?«
»Kein Unfall, Herr.« Magdalena presste die geballte Hand gegen die Stirn. »Nie werd ich das Bild vergessen. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich den Jakob da in unserer Scheune hängen. Kein Gesicht mehr hat er gehabt, das haben sie ihm zerschlagen …«
»Wer waren sie?«
»Die Blutzapfen vom Kloster Ebrach. Abt Nikolaus hat die Kerle hergeschickt …« Magdalena rang immer wieder um Fassung, während sie vom Sonntag berichtete. Gleich nachdem die Unholde mit dem hoch beladenen Karren das obere Tal und Mühlhausen verlassen hatten, war sie mit der Schwägerin zum Haus geeilt. »Wir konnten ihn nicht herunterholen.« In der Erinnerung atmete Magdalena heftiger, sie legte beide Hände auf ihren Leib. »Wir haben nur vor der Scheune gestanden und haben uns festgehalten.« Später dann, nach der Kirche, war auch Balthasar, der Schwager, gekommen. Er hatte den Strick durchtrennt und den Toten ins Heu gebettet.
Magdalena blieb am Bachufer stehen und schüttelte den Kopf. »Nein, Jakob hat es nicht selbst getan. Ganz sicher nicht.«
»Verzeih, aber …?«
Leidenschaftlich sah sie zu Meister Til auf. »Nur weil ein leeres Fass umgekippt unter dem Querbalken lag, meint der Schwager, dass mein Mann sich selbst … Aber so war Jakob nicht, glaubt
Weitere Kostenlose Bücher