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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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nicht mit zur Kirche, wollte im Schuppen ein neues Gatter für den Hühnerstall zimmern. Magdalena lief schneller. Der Weg über den Hügel war keine Abkürzung, war weiter, doch führte er in einer anderen Richtung zum Hof. Schneller. Sie überholte die Schwägerin, hetzte den Anstieg hinauf. Kaum war die Kuppe erreicht, blieb sie stehen.
Zu spät. Ihr Atem flog. Magdalena stemmte die Hände in die Seiten, keuchte und starrte hinunter. Das Fuhrwerk hielt bereits vor dem niedrigen Haus.
Ohne Hast sprang der Kutscher vom Bock. Auch die Reiter stiegen ab. Zwei von ihnen schlenderten zur Scheune. Da fuhr der Hund auf sie zu, bellte in hellem Zorn, mit Fußtritten hielten ihn sich die Eindringlinge vom Leib, doch er gab nicht auf, verfolgte sie weiter mit Gekläff. Die beiden anderen postierten sich rechts und links der Haustür. Dann erst schlug der Anführer mit dem Knauf seiner Peitsche gegen das Holzblatt.
»Wagt es nicht!«, drohte Magdalena; als die Schwägerin neben ihr auftauchte, wollte sie weiter, doch Els hielt ihren Arm fest. »Nicht, Mädchen. Bleib hier!«
»Aber da unten, da ist auch mein Zuhause.«
»Helfen kannst du nicht. Und wenn du jetzt hingehst, wird das Unglück nur noch größer.« In der Stimme schwang keine Hoffnung mit: »Jakob wird’s überstehen. Irgendwie. Aber du bist jung. Über dich herfallen werden sie. Glaub es mir.«
Magdalena verkrampfte die Hand im Kittelstoff vor ihrem Bauch und presste ihn fest an sich. »Aber können wir denn gar nichts tun?«
»Gegen den Abt von Ebrach? Niemals. Er hat Gewalt über uns, und er nimmt, was er will. Ich glaub bald, der Abt ist mächtiger als unser Herrgott …« Els stöhnte auf. »Da, sieh doch.« Sie zeigte zum Hof am Bach. »O mein armer Bruder.«
Sie hatten Jakob gefunden. Er sträubte sich, wollte nicht gehen, doch die beiden Bewaffneten schleiften ihn vom Schuppen zwischen sich her zum Haus. An der Schwelle trieben sie ihn mit Faustschlägen hinein und warfen die Tür hinter sich zu.
Kein Laut drang mehr herauf. Erst beim nächsten Atemzug bemerkte Magdalena, dass auch der Hund nicht mehr bellte.
»Bitte. Lass uns die Nachbarn holen!«, flehte sie. »Gleich gehen alle zur Kirche. Da könnten wir um Hilfe bitten. Zusammen sind wir doch viel mehr als die Kerle da unten.«
»Keiner wird helfen, Mädchen. Auch mein Balthasar nicht. Sie haben Angst, jeder von ihnen.« Els legte ihr den Arm um die Schultern. »Denn wer es wagt, sich gegen die Blutzapfen aufzulehnen, den bestraft der Abt noch schlimmer.« Verloren schüttelte Els den Kopf. »Nein, Mädchen, lass uns zurückgehen. Wir können nur warten, bis sie weg sind.«
Glocken läuteten, vom Dom, von St. Gertraud, vom Franziskanerkloster her; St. Burkard und St. Peter stimmten mit ein, bald brauste Jubel über Würzburg und vereinigte sich mit dem stolzen Geläute der Marienkapelle. Es war Sonntag, der achte September im Jahre des Herrn 1493. Seit den frühen Morgenstunden zog es mehr und mehr Bürger zum Judenplatz. Kopftücher und Kappen. Mägde und Knechte hatten sich herausgeputzt. Die Patrizier in samtenen Schauben mit Pelzkragen von Marder und Füchsen, und die langen Mäntel ihrer Damen bauschten sich bei jedem Schritt. Handwerker, die Wangen noch rot von der Rasur, führten selbstbewusst die festlich gekleideten Gattinnen neben sich her. Hinter ihnen folgte die zahlreiche Kinderschar. Nur beim Verlassen des Hauses waren Söhne und Töchter eine sittsam stille Augenweide gewesen, bald aber wuchsen Geschrei und Geheul, weil sich die Älteren in der Erziehung der jüngeren Geschwister übten. Und hatten die Würzburger in den Straßen und Gassen noch gelacht, geschwatzt und lautstark den Nachbarn einen guten Tag gewünscht, so wurden auf dem Platz die Stimmen leiser, jeder drängte sich innerhalb der Seilabsperrungen möglichst weit nach vorn zum Südportal.
Nicht dem mit Blumen geschmückten Altar galt der erste Blick, er ging hinauf zu den beiden noch mit grauen Tüchern verhüllten Gestalten rechts und links des Eingangsbogens. Kein Wort zum Nachbarn war nötig, ein Heben der Brauen, ein kurzes Seufzen verbunden mit leisem Lächeln erzählte genug von Zweifel und Neugierde. Dann aber setzte doch Raunen ein, wie eine Woge begleitete es Meister Til und seine Gemahlin von der Schustergasse an, durch den freigehaltenen Mittelgang bis nach vorn und verebbte erst wieder, als Bürgermeister Suppan sie begrüßte und ihnen einen Platz hinter den Ratsherren auf der Ehrenbank rechter Hand des

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