Riemenschneider
wieder schließen, doch Bermeter hatte seinen Fuß schon dazwischen. »Aber warum denn so unhöflich?« Ein harter Stoß mit der Schulter, getroffen vomTürblatt stürzte die betagte Frau rücklings zu Boden, jammerte und rief nach dem Pfarrer. Gleich aber drangen die Männer in den Eingang. Über die Schulter befahl der Hauptmann seinem Adjutanten, in der Nebengasse zu warten. »Ich pfeif ein Liedchen, wenn du den Karren bringen sollst.«
Er half der Haushälterin auf. »Nun wollen wir lieb und freundlich sein, nicht schreien, nicht um Hilfe rufen. Haben wir uns verstanden? Ja, das ist fein. Wo steckt er denn, der fromme Herr?«
Sie deutete zum Ende des Flurs. »Im Speisezimmer. Wir wollten gerade mit dem Essen beginnen.«
Stefan Dietmar ging den Kumpanen voraus. »Was soll das?« Drinnen war der Tisch gedeckt, aus der Suppenschüssel dampfte es, der Braten duftete, der Lehnstuhl aber war leer, von Paulus Schroter nichts zu sehen. Bermeter blickte sich um, dann feixte er, gab stumm den Freunden ein Zeichen und zog langsam das Kurzschwert. Ohne sich zu bücken, stocherte er mit der Klinge unter den Tisch.
Ein Schrei. Auf allen vieren kroch der Domherr eilig aus seinem Versteck. »Erbarmen! Um Gottes willen verschont mich.« Erst nach vorsichtigem Blick nach oben erkannte der Hirte, wer in sein Haus eingedrungen war. »Den Heiligen sei Dank! Du bist es.« Mühsam stand er auf und ließ sich in den Lehnsessel fallen. »Und ich dachte schon, die Bauernteufel hätten mich heimgesucht.«
»Ja, seid nur froh, dass ich Euch heute noch mit meinen Kameraden einen Besuch abstatte. Denn in wenigen Tagen geht es Euch und all den frommen Herren an die Kutte.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das Schloss muss herab. Ihr kennt doch den Satz. Oder?« Bermeter stopfte sich vom Braten in den Mund und setzte kauend hinzu: »Die neuen Geschütze sind schon in Stellung. Und ich hab läuten hören, dass es jetzt bald endgültig vorbei ist mit dem Schloss. Und ist der Marienberg erst mal eingenommen, folgt das Blutgericht für Euch Pfaffen. Dann ist es gut, wenn man Freunde hat.« Er winkte die Kumpane zum Tisch. »Schlagt euch erst mal den Bauch voll. Dann legen wir los.«
Und während die anderen hinter ihm zulangten, beugte er sich, mit dem nächsten Bratenstück zwischen den Fingern, über den Domherrn: »Ich meine, Freunde, die ein gutes Wort bei den Hauptleuten einlegen können. Und ich bin sicher der Einzige, der das für dich tun würde.« Er schmierte ihm mit dem fettigen Fleisch die Wangen ein. »Und damit ich’s auch nicht vergesse, händigst du mir deine Geldkassette und die Ringe aus. Zudem wirst du uns dabei helfen, die Teppiche und Silberleuchter, kurz gesagt, alles, was Wert hat, einzupacken und nach draußen zu schaffen.«
Paulus Schroter bog den Kopf zurück. »Du willst mich ausrauben. Gemeiner Dieb!«
Ehe die Lippen sich schlossen, hatte Bermeter ihm das Bratenstück in den Mund gestoßen. »Solch ein böses Wort will ich nicht mehr hören. Schenken, du schenkst mir alles. Und zwar sofort! Viel zu viel Zeit hab ich mit dir schon vergeudet. Schließlich bist du nicht der Einzige, den wir heute noch besuchen. Also halt’s Maul und her mit der Hand!« Grob riss er dem Domherrn nacheinander die Ringe von den Fingern.
»Nun sag mir erst einmal, Vater, was du denkst?« Im Steinsaal der Werkstatt ordnete Barthel, den Pinsel quer zwischen den Zähnen, einige Schälchen mit angerührter Farbe auf einem schmalen Tisch nebeneinander. Weil er keine Antwort erhielt, wandte er den Kopf. »Vater?«
Til löste den Blick vom Beweinungsrelief und sah den Sohn an. »So geschäftig? Warum?« Er lächelte. »Ich habe dich nicht verstanden.«
Röte stieg dem jungen Maler ins Gesicht, gleich nahm er den Pinsel herunter. »Verzeih! Ich … ich möchte dir doch alles recht machen. Und nun hab ich dich gleich zu Beginn verärgert.«
»Nein, nein, mein Junge.« Beruhigend wollte ihm Til über das wildlockige Haar streichen, legte aber nur die Hand auf seine Schulter. »Lass uns eine Weile gemeinsam hinschauen, bis wir den Atem der Figuren spüren. Nur wenige Augenblicke genügen. Danach geht die Arbeit leichter.«
Als der Vater fühlte, wie sich unter seiner Hand der Rücken entspannte, nickte er zufrieden. »Du möchtest wissen, was dort in mir oder besser in meinem Nikodemus vorgeht?«
»Wenn ich weiß, was er gerade denkt, kann ich das in den Augen widerspiegeln. Bei den anderen ist es einfacher. Maria empfindet so viel Schmerz, aber auch ein
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