Riemenschneider
wenig Dankbarkeit, weil ihr von Joseph von Arimathia die Sorge um eine Grabstelle für den Sohn abgenommen wurde. Und dass er selbst sich sorgt, zeigt schon seine Körperhaltung.«
»Woher …?« Überrascht drückte Til seinen jüngsten Sohn nun doch an sich. Die Lässigkeit war nur eine dünne Schale gewesen, kaum davon befreit, bewies Barthel wahres künstlerisches Gespür und Tiefe. »Im Gegensatz zu Joseph weiß ich jetzt, dass ich mich um das gute Gelingen heute nicht sorgen muss.«
Das Lob stärkte, Vater und Sohn waren sich nah, und Barthel ging zur Steintafel; ohne die Figur zu berühren, zeigte er auf Nikodemus. »Du beugst dich etwas vor, hältst den Kopf leicht schräg, und diese tiefen Falten neben der Nase, auch die eingefallene Oberlippe … Warum hast du dich so alt dargestellt?«
»Weil dein Vater nun mal fünfundsechzig Jahre auf den Schultern trägt.« Er trat neben den Sohn vor das Relief. »Hinzu kommt die Trauer, sie zeigt bei jedem Menschen die Lebensspuren deutlicher.«
Aufmerksamer noch betrachtete Barthel jetzt das Gesicht. »Aber ich sehe nicht nur Trauer. Da ist auch Freundlichkeit. Und auch Milde. So, als ob du die Not der Mutter und den Kummer der anderen verstehst.«
»Ich will dich nicht länger stören.« Til schmunzelte. »Mein Nikodemus ist bei dir gut aufgehoben. Und solltest du noch Fragen zu Maria Magdalena da rechts oder der Maria Salome ganz auf der linken Seite haben …«
»Gott zum Gruße.«
Til stockte, fuhr erschrocken herum, gleich aber entspannte sich seine Miene. »Martin. Einen schönen Tag kann man in diesen Zeiten leider nicht wünschen.«
»Darf ich stören?« Der Stadtschreiber neigte den Kopf vor der Beweinung Christi. »Ich sehe, du arbeitest noch an dem Werk. Dazu muss ich …«
»Nein, mich störst du nicht.« Til führte ihn schon am Arm in Richtung Ausgang. »Nur mein Sohn muss sich konzentrieren. Lass uns draußen weiterreden!« Kurz blickte Martin zurück, den angefangenen Satz beendete er nicht.
Im Hof blieben die Männer vor dem notdürftig wieder mit Erde gefüllten Einschlagloch stehen. »Es hätte uns wahrlich schlimmer treffen können.« Til benetzte die Unterlippe. »Aber die Gefahr ist nicht vorbei. Wer weiß, was noch geschieht? Wann findet unsere nächste Ratssitzung statt? Sofern wir unsere Treffen überhaupt noch so bezeichnen können.«
»Vielleicht bald. Ich bin gekommen, weil ich Neuigkeiten habe, aber auch weil ich dem Tollhaus für einen Moment entfliehen musste.«
Beide Freunde lachten, seit Feldhauptmann Götz und der oberste Bauernrat im Grafeneckart hausten, bezeichneten sie ihre frühere Wirkungsstätte nicht mehr als Rathaus.
Von einer Magd ließ der Meister Wein bringen, und nach dem ersten großen Schluck lehnte sich der Stadtschreiber zurück. »Zunächst wollte ich dir noch mal für deine Geldspende danken. Insgesamt 500 Gulden konnte ich bei unsern Freunden einsammeln.« Wenige Tage nach der erfolglosen Erstürmung des Schlosses hatte Martin Cronthal mit einigen Mutigen unter Lebensgefahr das Kiliansheiligtum bei Nacht in einer Mauer des Doms versteckt und mit der Summe die plündernden Bauern davon abgehalten, das Gotteshaus zu verwüsten.
»Ja, es scheint sich eine Wende anzubahnen. Alle Anzeichen im Grafeneckart sprechen dafür.« Er nahm die Brille ab, unterstrich mit ihr seine Gesten. »Und zwar nicht allein aufgrund des Misserfolges bei der Beschießung durch die beiden Rothenburger Feldschlangen, nein, die neuen Nachrichten über die Siege des Truchsesses im Württembergischen haben den obersten Bauernrat sichtlich und hörbar erschreckt.« Georg von Waldburg hatte die Haufen bei Böblingen in einer erbarmungslosen Schlacht vernichtet und vollständig aufgerieben. Fast viertausend Tote waren auf dem Feld geblieben. Keine Rast. Sofort schickte der Bauernhungrige ein Strafkommando nach Weinsberg. »Vergeltung für Graf von Helfenstein.« Frauen und Kinder wurden hinausgetrieben, und das ganze Tal loderte zwei Tage und Nächte lang. Als die Glut brach, waren nur noch Trümmer und verbrannte Erde übrig.
»Und nun marschiert die Kriegsmacht des Bundes in Richtung Franken.« Martin Cronthal nahm einen Schluck; als er den Becher absetzte, zitterte seine Hand, und Wein schwappte auf den Tisch. »Ich fürchte, mein Freund, dort naht wahrlich nicht unser Erlöser. Zu eindeutig hat die Stadt Partei ergriffen. Und dieser Stollen, den Bergleute gerade jetzt hinter St. Burkard in den Fels treiben, um den Berg und damit auch das Schloss
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