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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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früheren Abenden. Nach dem späten Mahl leerte er den Weinbecher und schob ihn von sich. Aus den Gedanken heraus sagte er: »Mir wird kalt und kälter …«
Da er auch nach einer Weile nicht weitersprach, wagte sie, seine Finger zu berühren. »Ich wärme Euch.« Er wandte ihr das Gesicht zu, runzelte die Stirn. »Vielleicht genügt ein Kissen mehr in der Nacht?« Sie schmiegte ihre Hand ganz in seine Handmulde. »Nein, das genügt nicht.«
Dunkler wurde das Braun der Augen, er befragte ihre Lippen. Dann folgte ein leises Schmunzeln. »Du hast recht. So ein Kissen hält nicht lange vor.«
Die Antwort auf so viele Jahre.
Til erhob sich, sie trug das Licht, und gemeinsam stiegen sie die Treppe hinauf.
Mitte Oktober drangen Schreie und Stöhnen aus der Nähstube; häufiger setzten nun die Wehen ein. Auf Befehl der Hebamme schleppten die Mägde heißes Wasser in den obersten Stock, trugen noch mehr Kissen und frische Tücher hinauf. Kein Gekicher, kein lautes Trampeln der Schritte mehr, auf Zehenspitzen und mit ernsten Mienen huschten sie durch die Flure, um das nahende Wunder nur nicht durch irgendeine Unvorsichtigkeit zu stören.
Vor einer Woche war Katharina von Balthasar und Els auf dem Obstwagen in die Stadt gefahren worden. Die Hochschwangere wollte das Kind nicht fern von ihrer Familie zur Welt bringen. »Darf ich bleiben? Weil … Florian ist doch nicht da.« Sie sah an sich hinunter, strich den weit vorgewölbten Bauch. »Da oben im Haus am Bach sind wir so allein. Bitte, wenigstens, bis das Kind da ist.«
»Du dummes …« Im ersten Moment war Magdalena empört, ja, es verletzte sie beinah, dass die Schwiegertochter nicht einfach vertrauensvoll zu ihr kam, sondern glaubte, wie eine Heimatlose nach Obdach fragen zu müssen. Gleich aber überwogen Rührung und Fürsorge. »Hier gehörst du hin und sonst nirgendwo.« Liebevoll umarmte sie Katharina, und noch am selben Tag war die Nähstube in eine Wöchnerinnenkammer verwandelt worden.
Am Morgen diesen Tages hatten heftige Wehen das unmittelbare Bevorstehen der Geburt angekündigt. Die Hebamme mit den Helferinnen war rasch gerufen, bald aber ebbten die Wellen wieder ab.
»Öffnet alle Türen im Haus«, ordnete die erfahrene Frau nach der Untersuchung an. »Dann wird auch die kleine Pforte leichter aufgehen.«
Sie hatte Katharina nicht lange in der Kammer herumführen müssen. Jetzt wollte, drängte das Kind ins Leben. Die Schwangere atmete, stärkte sich durch Schreien und fand zur einzigen, großen Kraft.
Stille. Die neue Ewigkeit begann mit zwei leichten Klapsen, dann ertönte widerwilliges Krähen. »Da haben wir uns aber einen prächtigen Goldfasan eingefangen«, lachte die Hebamme und zeigte Magdalena das Köpfchen mit den schimmernden Locken. »Von wem hat der Bub sie? Vom Vater?«
»Nein, nein …« Nach kurzem Innehalten vergaß Magdalena zu antworten und staunte nur über den Gedanken, der sich gerade einnistete; behutsam nahm sie mit der Fingerkuppe etwas Kindsfett von der Haut des Neugeborenen und verrieb es an ihren Handgelenken.
Während die Hebamme den kleinen Körper reinigte und versorgte, ermahnte sie über die Schulter ihre Helferinnen und die erschöpfte Mutter, nicht mit dem Atmen und Pressen aufzuhören, bis die Nachwehen alles herausgebracht hatten, danach erkundigte sie sich erneut bei der Haushälterin: »Hat er nun den Goldflaum vom Ehemann oder nicht?«
»Nur die Locken, nicht die Farbe … Verzeih, ich bin im Moment selbst etwas verwirrt.« Magdalena blickte zum Bett. »Aber ihr Vater hat rötliches Haar.«
»Ja, das Rot schlägt durch. Hab schon erlebt, dass es zwei Generationen ausbleibt, und in der dritten leuchtet es mir wieder entgegen, noch ehe der Kopf ganz raus ist.«
Das Kind war versorgt. »Wir haben zwei Ohren, zehn Finger und zehn Zehen und dazu einen stolzen kleinen Hahn. Was wollen wir mehr?« Die Hebamme legte der Mutter den Sohn zwischen die Brüste. »Wie soll er denn heißen?« Katharina streichelte die noch feuchten Härchen. »Ich dachte … Tilman.« Sie sah zu ihrer Schwiegermutter hoch. »Oder meinst du, Vater hätte was dagegen?«
»Til?« Magdalena musste tief atmen. »Ganz sicher nicht. Damit bereitest du ihm eine große Freude.«
»Mein Til.« Zärtlich tastete die Mutter nach den kleinen Händen. »So gewartet hab ich auf dich.«
Die Mädchen sollten in der guten Stube decken. »Nur für den Meister und mich«, bestimmte Magdalena. »Ihr esst mit Tobias heute allein.« Sie erlaubte keine Fragen, summte in der

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