Riemenschneider
meine ich, wenn ich von unserem Glück spreche. Unser Kopf sitzt noch oben. Wir dürfen also nicht klagen.«
Der Bote aus Rimpar schien sich nicht lange im Wolfmannsziechlein aufhalten zu wollen. Er stürmte in den Hof, sah den Bildschnitzer auf der Bank neben der Haustür sitzen, trat näher und straffte die Brust. Kein Gruß, nicht den Ansatz einer Verbeugung, selbst die Kappe behielt er auf dem Kopf: »Meine Herrschaft verlangt die Auslieferung des bestellten und schon längst bezahlten Reliefs. Und zwar morgen. Andernfalls muss der Kaufpreis umgehend zurückerstattet werden …«
»Ruhig, ruhig.« Mit spöttischem Schmunzeln hob Meister Til warnend die Hand. »So atme doch wenigstens während des Sprechens.«
»Was soll ich?« Der Vorschlag irritierte sichtlich. »Ich habe Befehl …«
»Auslieferung sagst du? Ich liefere niemanden aus. Christus ist nicht mehr gefangen, er ist längst gekreuzigt, und der Kaufmann aus Arimathia hat den Leib von Pilatus übergeben bekommen, um ihn zu begraben.«
Der Bote starrte den Meister an, glaubte nun zu begreifen: »Ihr habt das Relief also weiterverkauft? Das wird Euch teuer zu stehen kommen. Mein Herr, Ritter von Grumbach, hat das Relief den Klosterfrauen in Maidbronn für einen neuen Hochaltar geschenkt. Und wenn Ihr es nicht bis morgen wiederbeschafft und liefert, dann seht Euch gut vor. Mein Herr fackelt nicht lange mit Bauernfreunden.«
Eine Drohung. Til schloss die Augen. Wie oft bin ich in den vergangenen Monaten bedroht und geschlagen worden? Nein, junger Mann, damit vermagst du mich nicht mehr zu beeindrucken. Der kleine Gedankenausflug sollte dir helfen, von deinem hohen Ross abzusteigen, nichts weiter, stattdessen wagst du, dich wie ein Inquisitor aufzuführen.
Til ballte die Faust. »Hör zu, du ungehobelter Knecht. Sag deiner Herrschaft, das Beweinungsrelief wird morgen nach Maidbronn gebracht. Und ich hoffe, die Klosterfrauen sehen in meiner Arbeit und dem Bild mehr als nur einen Gegenstand, der ihnen geliefert wird.« Er wies mit dem Stock in Richtung Ausgang. »Guten Tag, junger Mann.«
Die geblähte Brust hatte deutlich an Umfang, die Miene an Überheblichkeit verloren, auf dem Absatz kehrte der Bote um und entfernte sich eilig.
Til ging zur Werkstatt hinüber. Kaum bemerkten ihn Jörg und Tobias, als sie beinah schuldbewusst den Hobel von den langen Brettern nahmen. »Schon gut«, beschwichtigte der Meister, ohne einen wirklichen Blick auf die halbfertigen Särge zu werfen. »Kommt mit in den Steinsaal!« Er ging schon voraus.
Bald nach seiner Rückkehr hatte er seine Werkstatt sehen wollen, den Holzgeruch atmen, den Staub schmecken. Doch auf der Dockenbank, wo noch vor nicht langer Zeit Heiligenfiguren entstanden, lagen jetzt Sargbretter, und im Steinsaal reihten sich halb fertige Grabsteine auf den Werkbänken nebeneinander, auf denen er noch bis zum Ausbruch der Unruhen die Beweinung Christi erschaffen hatte. Damals war Til zurückgewichen. »Ihr … ihr entweiht meine Räume«, und er hatte bis heute keinen Fuß mehr in die Werkstatt gesetzt.
Fragend blickten ihn sein Sohn und Tobias an.
»Ritter von Grumbach hat sich gemeldet. Das Relief soll nach Maidbronn.« Im rückwärtigen Teil des Saales deutete er auf die hochgezimmerte Schutzwand. »Nehmt sie ab, und setzt mir die beiden Teile aufeinander. Ehe ich Maria und die anderen mit dem Leichnam weiterziehen lasse, will ich sie noch einmal sehen …« Gleich räusperte er sich und setzte betont nüchtern hinzu: »Zur letzten Kontrolle, ob nicht eine Nase oder eine Gewandfalte abgeplatzt ist. Und ihr …« Er patschte die Hand gegen die Holzwand. »Wenn ihr aus Maidbronn zurück seid, dann könnt ihr ja mit diesen Brettern hier neue Totenkisten zusammenhauen.«
»Du bist ungerecht, Vater.« In schnellen Schritten stand Jörg vor ihm. »Wir arbeiten hart und viel …«
»Aber was, Sohn? Darauf kommt es an.«
»Du hast gut reden …« Gleich wich dem Zornigen das Blut aus dem Gesicht. »Verzeih, so wollte ich es nicht sagen. Ich weiß, was du durchgemacht hast. Aber du musst endlich die Wahrheit sehen. Unser Geschäft geht schlecht, sehr schlecht. Das Auftragsbuch ist leer …« Jörg bemerkte, dass der Vater ihm sehr ernsthaft zuhörte, und konnte nun endlich die lang angestaute Sorge mit ihm teilen.
Seit den Unruhen fehlte den Wohlhabenden und den noch katholisch Gläubigen der Mut, bei dem geächteten Meister eine Madonna oder Anbetung in Auftrag zu geben. Das Interesse an Altären und Heiligen ließ
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