Riemenschneider
Küche vor sich hin und servierte dem erstaunten Hausherrn am Abend ein goldbraun gebratenes Huhn auf dem Silbertablett. »Und die anderen?«
»Gemüseeintopf. Möhren, Lauch und Sellerie.« Magdalena band die Schürze ab, »das ist auch sehr schmackhaft«, und nahm ihm gegenüber Platz.
»So kenne ich dich gar nicht? Wieso schlemmen wir, während sich die anderen mit Hausmannskost begnügen müssen?«
»Weil ich es so will, Herr.« Vergnügt strahlte sie ihn an, griff schwungvoll nach dem Weinkrug und füllte die beiden Kristallpokale. »Weil wir heute Grund zum Feiern haben.«
»Ein Kind ist angekommen. Und ich bin Gott dankbar, dass es gesund an allen Gliedern ist. Doch findest du so viel Aufwand angemessen?«
»Lasst uns erst anstoßen, Herr.« Ein samtenes Klingen, er nahm einen Schluck, und sie beobachtete ihn dabei versonnen.
»Trinkst du nicht?«
»Entschuldigt.« Magdalena hob den Pokal an die Lippen, nach kurzem Nippen setzte sie ihn sorgsam ab. »Wir haben Glück«, teilte sie Til beinah verschwörerisch mit. »Wisst Ihr das eigentlich?«
Sein Stirnrunzeln entlockte ihr ein Seufzen. »Gleich nach der Geburt, als ich die goldenen Locken sah, da fiel es mir ein.« Sie beugte sich vor, wollte ihm näher sein. »Herr? Erst sind wir Schwiegervater und Schwiegermutter unserer Kinder geworden. Das war schon was. Jetzt aber … jetzt sind wir auch noch Großvater und Großmutter von ein und demselben Jungen. Von unserm kleinen Til.« Schalk stahl sich in die Augenwinkel. »Und kalt ist uns in der Nacht auch nicht mehr.«
34
L isbeth bog kurzatmig in die Franziskanergasse ein. Ihr Busen wogte, aus dem hochgesteckten Haar hatten sich Strähnen gelöst. Fast den ganzen Weg war sie gelaufen, angefangen von ihrem Haus nahe dem Judenfriedhof, an Neumünster und dem Dom vorbei; die entrüsteten Mienen der Bürgerinnen hatte sie nicht wahrgenommen, die anzüglichen Pfiffe der Marktleute waren an ihr abgeprallt. Lisbeth klopfte, pochte mit der Faust gegen das hohe Tor. Niemand kam. Das Warten dauerte ihr zu lange; sie stemmte sich gegen einen der Flügel, er war nicht verriegelt, und ihr Gewicht ließ ihn weit aufschwingen. »Holla«, rief sie im Hof. »Ist jemand da? Holla!«
Magdalena kam eilig aus dem Haus. »Um Gottes willen, was ist geschehen?«
»Er … er …« Lisbeth rang nach Luft, brachte kein Wort mehr zustande.
»Ruhig. Ganz ruhig.« Magdalena führte sie zur Bank neben dem Eingang. »Nun setz dich erst mal. Ich bringe Wasser.«
»Ich habe …« Doch es folgte nur Schnaufen, mit hilflosemLächeln bat Lisbeth um Verständnis, schnaufte weiter und fächerte mit der Hand den hochroten Wangen Luft zu. Während der Schwangerschaft von Katharina hatten sich die beiden Frauen im Kampf für das Kind verbündet, und nach den unheilvollen Kriegswochen zwei Jahre zuvor war eine vertrauensvolle Zuneigung zwischen ihnen entstanden.
Das kühle Nass half der fülligen Besucherin. Langsam kam sie wieder zu Atem. »Er hat geschrieben.«
»Wer?«
»Mein Hans.« Die Stimme glaubte es selbst nicht, auch im Blick überwog ungläubiges Staunen. »Er muss es sein. Weil, wer sonst sollte mir einen Brief schicken?«
»Ich … ich weiß auch nicht …« Fahrig nahm ihr Magdalena den Becher aus der Hand und trank ihn leer. »Nach so langer Zeit …«
»Der Stadtbote hat mir den Brief vorhin gebracht. Aber dieser eingebildete Kerl ist dann gleich weiter, obwohl ich gerufen habe. Und ich kann doch nicht lesen.«
Das Grinsen, die tanzenden Füße, trillernde Pfiffe … Bilder stürzten über Magdalena, jedes heftete sich mit einem Stachel an ihr Herz. »Zeig ihn mir!«
Lisbeth griff ins Tal ihrer Brüste und brachte das schon leicht verknitterte Blatt zum Vorschein.
»An Lisbeth, Hausfrau des Hans Bermeter«, las Magdalena vor und nickte. »Er ist von ihm.« Beide Ellbogen stützte sie auf den Tisch. »Wenn du diese Zeilen erhältst, lebe ich vielleicht noch, denn durch unglückliche Umstände bin ich verhaftet worden und sitze im Lochgefängnis von Nürnberg. Glaub mir, es gibt keinen schlimmeren Ort auf dieser Welt …« In dramatischen Worten schilderte Bermeter seine missliche Lage. Domherr Paulus Schroter sei an allem schuld. Der fromme Herr sei nach Nürnberg gereist, um dort heimlich in den Gasthäusern beim Spiel sein Glück zu versuchen. » …Wie es Satan, der Höllenfürst, wollte, musste dieser Pfaffe ausgerechnet auf mich treffen. Und obwohl ich ihm stets ein guter Freund und ehrlicher Mitspieler war, hat er mich beim
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