Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
ich auch in Euch all das Schreckliche abwaschen.« Behutsam streichelte sie seinen Arm. »Lasst uns einfach anfangen.«

33

D ie Wächter am Pleichacher Tor nickten den beiden Männern nur zu, jeder kannte sie, keiner aber wollte Nähe mit ihnen, nicht einmal einen freundlichen Gruß hatten sie für den Bildschnitzer und den ehemaligen Stadtschreiber übrig. Til und Martin nahmen es mit gefasstem Gleichmut; seit sie aus dem Kerker entlassen waren, mied ein Teil der gesitteten Bürger sie und ebenso den früheren Bürgermeister wie auch die übrigen Gefangenen. Dass es diese Männer waren, die über Jahre für das Wohl der Stadt gesorgt, die so oft Domkapitel und Bischof die Stirn geboten hatten, um Freiheiten oder wenigstens Zugeständnisse zu erkämpfen, zählte nicht mehr.
Til deutete mit dem Stock hinauf zu den Weinbergen. »Wie gern würde ich nach den Reben schauen.« Nur zwei von den mehr als zehn Weinhängen waren ihm gelassen worden, außerdem hatte er den neu angelegten Weinberg behalten dürfen. »Aber noch bin ich zu unsicher. Den steilen Weg wage ich noch nicht.«
Der Stock diente ihm fürs Gleichgewicht, war keine Gehhilfe, denn auch den Armen, vor allem den Schultern, fehlte noch Kraft. Er war schon dankbar, dass er nachts inzwischen ohne Laudanum auskam, wenn auch die Erinnerung an Folter und Kerker ihm den Schlaf raubte. »Lass uns am Ufer entlangspazieren und vielleicht hinter der Bachbrücke ein Stück in die Auen hinein.«
»Mir ist es gleich, wohin ich gehe.« Martin Cronthal sog tief die Luft in sich auf. »Jeder Atemzug hier draußen, jeder Blick über eine grüne Wiese, scheint mir immer aufs Neue wie ein Geschenk.« Er versuchte zu lächeln, musste aber gleich mit einem Tuch die Mundwinkel abtupfen. In der Haft hatte ihn ein Grind befallen und sich über Gesicht und Oberkörper ausgebreitet; trotz täglicher Behandlung mit Tinkturen zog er sich nur langsam zurück, und schnell rissen die Krusten an Kinn und Wangen wieder auf. »Reicht es denn, um die Häcker zu entlohnen?«
»Für dieses Jahr ganz sicher. Selbst wenn die Ernte nicht gut ausfällt.« Nach einer Weile setzte Til hinzu: »Für die Freilassung habe ich fast meinen ganzen Besitz dem Fürstbischof überschreiben müssen. Der Richter hat mir die Mieteinnahmen aus dem einen Haus zugestanden, mit dem Ertrag der kleinen Weinberge und dem Spartopf wird es für ein bescheidenes Auskommen reichen.«
»Wir werden leise sein müssen, mein Freund.« Martin schlug mit dem Stock einen Stein vom Weg. »Wenn Margaretha und ich über den Markt gehen, spüre ich, wie uns einige Nachbarn beobachten. Ob wir nicht zu üppig einkaufen. Ja, ich habe das Gefühl, sie zählen die Schillinge, die wir ausgeben.« »Fürchtest du eine Anzeige?«
»Mehr den Neid, lieber Freund. Den Neid. Wir sind um Hab und Gut geschröpft worden. In den Augen der Leute dürfen wir kaum noch etwas besitzen. Sie haben selbst geben müssen, uns aber hat es schlimmer getroffen, und dies wollen sie sehen. Und seit den vergangenen furchtbaren Monaten haben die Menschen in Würzburg gelernt, wie sehr Denunziation zum eigenen Vorteil gereichen kann.«
»Johann Wagenknecht«, brummte Til. »Ich habe ihn meinen Christus für die Kirche in Steinach bemalen lassen und noch andere Figuren. Auch wenn ich jedes Mal befürchten musste, dass er zu dick auftrug, mir den Erlöser mit zu viel Farbe erstickte. Wie ein rohes Ei habe ich ihn behandelt, damit er meinen Jüngsten in die Lehre nimmt. Gut verdient hat der Herr Maler an mir. Und dann …«
»Das meine ich. Er hat dich dennoch beim Bischof angeschwärzt, und zum Lohn ist er jetzt der neue Bürgermeister. Im Stadtrat sitzen ohnehin nur noch dem Fürsten hörige Männer. Und dieser Jasager führt ihn an.«
Sie hatten den Bach erreicht. Vorsichtig betrat Til den leicht gewölbten Brückenbogen und blieb oben auf der Mitte stehen. »Gleichwohl. Denke ich an meinen Rupert, so sollten wir unser Glück nicht vergessen. Er hat den abgestürzten Weinberg neu bepflanzt und über die letzten Jahre gehegt. Diesen Herbst wird es zum ersten Mal eine richtige Ernte geben …« Trauer färbte die Bitterkeit mit. »Und Rupert kann die ersten Reben nicht schneiden, darf seinen ersten Traubenmost nicht vorkosten. Wie hätte ich ihm dieses stolze Gefühl gegönnt.«
Beide Männer schwiegen, hörten dem schnell fließenden Wasser zu, schließlich gingen sie weiter. Weit in den Auen erst sagte Til und versuchte etwas Heiterkeit zurückzugewinnen: »Das

Weitere Kostenlose Bücher