Riemenschneider
»Jakob. Mein Mann … Der Vater von meinem Kind. Sie … sie haben ihn erhängt.« Heftig ging der Atem. »Verzeih, aber ich habe Angst vor dem Strick.«
»Mein Armes.« Die Hebamme strich ihr das Haar aus der Stirn. »Warum hat mir deine Herrin nichts davon erzählt?« Nur ein Blick zur Seite genügte, und Klarissa entfernte das Seil mit der Halteschlaufe. »Aber, kleine Frau, Bewegung muss sein.«
Nach ihrer Anleitung kauerte sich die Schwangere nieder, kroch auf den Knien bis zur Wand und richtete sich langsam auf, dehnte die Arme und kehrte zum Tisch zurück, begann die Übung von Neuem, wieder und wieder. Kein Wort wurde mehr gesprochen. Magdalena wandte den Blick nach innen und fühlte, wie ihr Leib in Schwingung geriet. Sie stöhnte, krümmte sich, und kaum war die Wehe verebbt, tappte sie weiter durch die Dachkammer, aufmerksam umsorgt von den beiden Frauen.
Als die Abstände kürzer wurden, legte Klarissa ihre Kleider ab und setzte sich an die Schräge aufs Lager. »Hier gibt es einen warmen Platz für dich«, lud sie die werdende Mutter ein.
Rascher folgten die Wehen. Im schmerzenden Auf und Ab spürte Magdalena warme Nässe zwischen den Beinen, hörte lautes Rufen, nein, Befehle waren es. Und erneut wuchs der Schmerz. Kraft! Ihr Leib erbebte, wurde angehoben, Magdalena schrie, ließ nicht nach, das Rund wuchs, drängte … »Nicht mehr aufhören, kleine Frau. Weiter, nur weiter so.« Für einen Moment flog ihr Atem, dann gehorchte sie, das Rund wurde zur riesigen Kugel. Mein Schoß zerreißt. Magdalena keuchte, sammelte neue Kraft, wollte den Schmerz, presste und schrie. Das glühende Tor …
»Wir haben den Kopf«, hörte sie die Hebamme sagen. »Gib deine Hand, kleine Frau, du darfst die Haare fühlen.« Magdalena ertastete das Feuchte zwischen den Schenkeln. »Ist es …?«
»Später«, sagte die Helferin neben ihrem Ohr. »Erst wieder pressen. Noch einmal, dann ist es da.«
Magdalena beugte die Stirn nach vorn, ein nie gekannter Wille erwachte, sie wollte kämpfen, wollte … Mit einem Mal ließ das Glühen nach. Atemlos starrte sie nach unten, sah nichts, sah dann in den Händen der Hebamme ein Wesen. »Ist das mein Kind?«
»Dein Sohn, kleine Frau.« Zum Beweis ertönte kräftiges Krähen.
Magdalena lehnte sich erschöpft zurück und ließ die Lider sinken. Da spürte sie den energischen Griff der Helferin über ihrem Bauch. »Nicht die Augen schließen, sonst wird der Kleine blind. Erst wenn alles draußen ist, kannst du dich ausruhen.« Während ihre Meisterin das Neugeborene versorgte, bestimmte Klarissa mit einflüsternder Stimme den Rhythmus von Atem und Pressen, bis die Nachwehen aufhörten und warme Schwäche übrig blieb.
Magdalena wollte nachgeben, gleich aber warnte das Herz. »So still? Warum ist er so still?«
»Keine Sorge. Bleib ganz ruhig.« Ohne heftige Bewegung schob sich die Helferin aus dem Bett. »Es geht ihm gut.« Sie entfernte den Stuhl und legte die Erschöpfte zurück ins Kissen. »Deinem Kleinen gefällt das Waschen, deshalb schreit er nicht.«
Von Tisch her hörte Magdalena ein anerkennendes Lachen. »Der Bursche weiß, was gut ist.« Die Hebamme kam mit dem nackten Kind zum Lager. »Nun seht bloß den kecken Hahn.« Hochgebogen stand das Schwänzchen da. »Ich hab nur einen Tropfen Öl verrieben, und schon reckt er sich.«
»Mein Junge.« Magdalena sah das winzige rote Gesicht und dachte: Mein Wunder bist du.
Da öffnete er den Mund, schrie, gleichzeitig verließ ein heller Strahl das Kränchen und nässte den Unterarm der Hebamme. »Nicht nur dass der Bub alles hat, was bei einem Buben dran sein muss. Glaub mir, kleine Frau, da hast du einen Prachtkerl zur Welt gebracht.«
»Gib ihn mir. Bitte!«
Behutsam legte die Meisterin den Jungen zwischen ihre Brüste. »Wie soll er denn heißen?«
»Florian.« Magdalena spürte das Glück auf ihrer Haut, die lebendige Wärme, und wiederholte den Namen leise, so als hätte sie ihn für den Sohn gerade neu erdacht: »Florian. Mein Florian.«
7
A us vollen Kehlen gesungen, begleitet vom heftigen Brausen der Orgel, näherte sich die vierte Strophe des Schlussliedes dem Ende. Linker Hand des Kirchenschiffs, auf der Frauenseite, zupfte Gertrud am Mantelärmel der Mutter, doch Frau Anna Riemenschneider sang inbrünstig über die Ungeduld ihrer Tochter hinweg. Erst als der Organist seinen Blasebalgtreter durch ein Kopfnicken erlöste und die silbrigen Pfeifen ausseufzten, löste auch die Gattin des Bildschnitzers die Andacht. Die
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