Riemenschneider
Kirche setzen dürfen. Nur davon gesprochen hat sie, mehr nicht.«
Til schob das Barett aus der Stirn. »Aber warum, bei Gott … wenn kein Zwang vorliegt, warum erniedrigst du dich so?«
»Das würdet Ihr nicht verstehen, Herr.«
»Nur zu, ich gebe mir Mühe.«
»Aber Ihr dürft nicht verärgert sein. Bitte.« Die Augen schimmerten. »Denn, in Wahrheit habt Ihr Schuld.« Ohne Vorwurf in der Stimme erklärte sie: »Seit der Geburt wart Ihr nicht mehr zu Besuch bei meiner Herrschaft. Ich habe gewartet, weil ich Euch den Florian zeigen wollte. Dann habe ich mir gesagt, der Meister hat sicher mit all den Heiligen genug in seiner Werkstatt zu tun und keine Zeit.« Jetzt senkte Magdalena die Lider und sprach zu ihrem Sohn. »Und dann erzählte die Herrin uns vom Bettelausweis. Und wir dachten gleich, wenn wir vor der Kirche sitzen und weil unser Meister Til doch ein frommer Mann ist und bestimmt zur Messe geht, dass wir hier warten und uns ihm irgendwann zeigen können.«
Til trat einen Schritt auf sie zu, wollte Nähe, nahm sich aber sofort zurück. »Ich muss mich entschuldigen.« Mit einem Mal hatte er es eilig. »Und bitte verzeih, wenn ich dir eine Münze schenke, aber wir werden sicher von vielen beobachtet.« Er legte ein Silberstück in ihre Hand. »Ich werde nächste Woche ins Apothekerhaus kommen. Weil … das Bild … Ich möchte dich noch mal als Modell haben. Aber darüber sprechen wir dann. Leb wohl!«
Sie lächelte zu ihm auf, nur ein Blick zum Abschied.
Nach wenigen Schritten wandte er sich kurz um. »Wie oft hast du hier schon gesessen?«
»Zweimal, Herr. Weil Ihr letzten Sonntag nicht in der Kirche wart.«
Die Stirn gerunzelt, ging Til weiter. »Das ist wahr. Gott möge mir verzeihen.« Und nach einer Weile setzte er nachdenklich hinzu. »Sie schämt sich nicht zu betteln. Nur um mich zu sehen? Sonderbar.«
Jäh von der Wirklichkeit aufgeschreckt, straffte er den Rücken. Am Rande der plaudernden Gruppen erwartete ihn Anna flankiert von den Freundinnen. »Riemenschneider, welch großzügige Geste!« Noch ein Blicktausch mit der hageren Gemahlin des Bürgermeisters, und gestärkt ging sie zum Angriff über: »Selbst dem Bettelpack widmest du deine Zeit.«
Keinen Streit in der Öffentlichkeit, und keinesfalls vor den Damen. Mit ungewöhnlich scharfem Ton schlug Til zurück: »Barmherzigkeit mit den Armen ist Pflicht eines jeden Christenmenschen. Wundert dich das etwa, meine Liebe?«
Anna schloss den Mund. Neben ihr zog Hedwig Suppan das Kinn zurück, und Margaretha Cronthal zupfte an einer Falte ihres Kleides.
Ehe der Sieg wieder entglitt, verbeugte sich Til leicht und bot seiner Gemahlin den Arm. »Darf ich dich nach Hause geleiten. Ich weiß, du fühlst dich nicht wohl.« Lächelnd wünschte er den Damen einen friedvollen Sonntag und führte Anna entschlossenen Schritts davon.
»So groß.« Apotheker Wilser schloss die Kuppen von Daumen und Zeigefinger zu einem Ring und hob dem Bildschnitzer bedeutungsschwer das Zeichen hin. »Wenn nur ein einziger Stein diesen Umfang erreicht hat und sich löst, dann gibt es keine Rettung. Wie soll der denn ausgeschieden werden, frage ich dich?«
»Ich weiß es nicht«, bekannte Til.
»Und glaub mir, unser Fürst hat inzwischen nicht nur einen solchen Brocken in den Nieren.«
»So wird es sein.« Obwohl es im Verkaufsraum nach Thymian, Lavendel und anderen Gewürzen duftete, fühlte sich Til elend. Vor einer halben Stunde hatte er die Apotheke in der Nähe des Doms betreten. Nach dem üblichen Gruß, den Wünschen und dem Erkundigen nach der Familie war Sebastian Wilser auf die Krankheit des Fürstbischofs Rudolf von Scherenberg eingeschwenkt. Nur aus Höflichkeit hatte sich Til interessiert gezeigt, und seitdem wurde er mit Einzelheiten überschüttet, die seine Fantasie erschreckend in ihm aufleben ließ.
»Ein ganzer Steinhaufen, das habe ich heute Morgen dem ehrenwerten Leibarzt auch gesagt.« Der Stolz ließ die ohnehin schon durch Brillengläser vergrößerten Augäpfel anwachsen. »Ja, er hat nicht den Stadtphysikus geschickt, er war persönlich hier in meinem Laden. Er fragte mich nach meinem Vorrat an schleimlösenden Mitteln, um die Steine aufzuweichen. ›Was hilft es dem Herrn noch?‹, fragte ich, und er sagte: ›Wir müssen alles versuchen, ehe das Schlimmste eintritt.‹ Also gab ich Bibernelle, Bärlauch und Heidekraut und zur Beruhigung des Patienten ein Säckchen mit Mohnsamen. Schließlich will man, wenn man kann, dem gnädigen Fürsten helfen, dem
Weitere Kostenlose Bücher