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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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ein Strick herunter. Magdalena hatte ihn unmittelbar vor der großen Wehe erst entdeckt, dann im Tosen des Schmerzes wieder vergessen. Jetzt sank sie ins Tal zurück, spürte den Körper hinter sich, in dessen Obhut sie lehnte, spürte wie die Arme der Helferin unter ihrem Busen den Griff lockerten.
Lächelnd beugte sich die Hebamme über sie. »Das war schon sehr tüchtig. Aber Geduld und nie das Atmen vergessen. Auch wenn sich das Kind zu früh gemeldet hat …«
»Es war der Schreck«, unterbrach Magdalena ängstlich. »Als dieser Kerl auftauchte …«
»Still, kleine Frau. Hör auf, an ihn zu denken. Er hat keinen Schaden angerichtet. Erst beruhigen wir das Kleine, damit es später kein Zappelhans wird, und dann holen wir es.« Sie strich mit der flachen Hand leicht kreisend den gewölbten Leib hinunter und prüfte mit den Fingerkuppen, wie weit sich der Schoß geöffnet hatte.
Nach ihrer Rückkehr vom Markt war es Magdalena noch gelungen, Korb und Tragekessel sicher in der Küche abzusetzen, den Weg zum Hocker hatte sie nicht mehr geschafft, hatte sich an der Tischkante festgehalten und nach der Herrin gerufen. Frau Adelheid fragte nicht lange, schickte einen Knecht zur Hebamme und ließ die Schwangere von ihrem Mann und dem Gehilfen die Treppe hinaufbefördern; halb getragen, gestützt und geschoben, endlich gelangte Magdalena in die Dachkammer. Gleich überfiel sie eine Wehe. Die Herrin jagte die Männer hinaus, hatte Magdalena entkleidet und war so lange an ihrem Bett geblieben, bis die Meisterin mit einer Helferin sie ablöste.
Sofort und ohne lange Erklärung richteten die Frauen sich ein. Öle und Schlinge, silberne Haken, Messer und Zange, sorgfältig reihten sie ihre Hilfsmittel auf einem Tuch nebeneinander. Während die Hebamme sich dem Lager näherte, bat sie ihre Helferin: »Befestige schon mal den Strick!« Dann nahm sie Magdalenas Hand: »Du hast dir einen guten Tag ausgesucht.« »Zu früh …?«
»Aber nein. Auf eine Woche oder zwei kommt es nicht an.« Ihre Stimme erlaubte keinen Zweifel. »Wichtig ist, dass dein Kind zwischen Ostern und Pfingsten geboren wird.« Inzwischen hatte sie das Federbett zur Seite geschoben und untersuchte den Schoß, dabei plauderte sie weiter: »Das bedeutet Glück. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Wir haben noch etwas Zeit. Und nun setz dich langsam auf. Im Liegen fehlt dir zu schnell die Luft. Ich mach’s dir bequem.«
Aufmerksam beobachtete Magdalena, wie die Hebamme den Stuhl brachte, ihn kippte, ihn mit der Lehnenkante zuunterst hinter ihr auf die Matratze stellte und zwei der hölzernen Beine fest an die Wand rückte. »Jetzt noch das Federbett.« Sie klatschte leicht in die Hände. »Darf ich bitten, kleine Frau.«
Magdalena lehnte sich an die weich gepolsterte Schräge. »Danke. So halb sitzend fühle ich mich wohler.«
»Das will ich meinen. Aber nachher wird es erst wirklich bequem …«
Magdalena krümmte sich, stöhnte, sah für einen Augenblick den Strick vom Dachbalken herunterhängen, dann fiel der Schmerz über sie her. Nur von weit hatte sie Stimmen gehört, hatte kaum wahrgenommen, wie die Gehilfin hinter sie gerückt war und sie auf die Schenkel hochgezogen hatte.
Jetzt roch die Hebamme an den Fingerkuppen, rieb sie aneinander und beugte wieder die Nase darüber. »Gedreht hat sich das Kleine. Es liegt gut. Aber noch ist die Fruchtblase nicht geplatzt. War falscher Alarm, war also nur eine Probe, kleine Frau. Aber so wird’s nachher gemacht. Meine Klarissa hockt hinter dir und nimmt dich auf die Beine. Bis dahin könnt ihr erst mal wieder aufstehen.«
Magdalena nickte voller Vertrauen. »Ich werde alles tun, was du sagst.«
Zeit für ein Lächeln, Zeit blieb auch für ruhiges Atmen, während ihr die Helferin mit Öl den Rücken einrieb. Freundinnen, dachte sie dankbar, es sind Freundinnen.
»Nun geht’s wieder an die Arbeit«, bestimmte die Hebamme, »sonst schläft uns das Kleine noch ein. Und wir warten hier die ganze Nacht.« Der Ton blieb leicht. »Jetzt lass uns das Kind ein wenig schaukeln.«
Magdalena sah auf ihren nackten Bauch. »Wie soll das gehen?«
»Ich zeige es dir.«
Nach wenigen Schritten blickte Magdalena hoch, ihre Augen weiteten sich, abwehrend streckte sie die Hände aus. Der Strick. Die Schlinge direkt vor ihrem Gesicht. »Nicht, nicht.« Sie schüttelte den Kopf, wimmerte nur noch.
Sofort wurde sie von der Hebamme zum Hocker neben dem Tisch geführt. »Was ist dir?«
Erst nach einer Weile gelang es ihr zu sprechen.

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